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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0394
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368 Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben

erklärt, N. zeichne sich dadurch aus, dass er als „der letzte Denker in der bishe-
rigen Geschichte der abendländischen Philosophie [...] das Ende der bisherigen
Philosophie setzt“, mithin „sie vollendet“ (Heidegger, Bd. 46, 2003, 6).
Heideggers Reflexionen zur spezifischen Differenz zwischen Tier und
Mensch unterscheiden sich von den Überlegungen in N.s Historienschrift. Zwar
bestimmt er die Historizität analog zu N. als Spezifikum des Menschen, aber
im Hinblick auf das ,Unhistorische4 grenzt er sich zugleich von Thesen im 1. Ka-
pitel von UB II HL ab, indem er feststellt: „Der Mensch ist in seinem Wesen
durch das Historische gezeichnet und ausgezeichnet. Zugleich aber hat im
menschlichen Leben das Unhistorische einen Vorrang. Jene Auszeichnung
durch das Historische und dieser Vorrang des Unhistorischen gehören im Men-
schen zusammen“: in einer „Einheit“ von ,,Gegenstrebige[m]“ (ebd., 22). Wäh-
rend N. die Auffassung vertritt: „So lebt das Thier unhistorisch: denn es
geht auf in der Gegenwart“ (249, 5-6), reserviert Heidegger das ,Historische4
und das ,Unhistorische4 gerade für den Menschen und weist ihm dadurch ei-
nen Sonderstatus zu: Denn „unhistorisch kann nur sein, was historisch ist.
Das Tier müßte deshalb, um unhistorisch sein zu können, ein Mensch sein“
(Heidegger, Bd. 46, 2003, 30). Unter dieser Prämisse gelangt Heidegger zu einer
eigenen Differenzierung, indem er mithilfe eines zusätzlichen Begriffs das Tier
vom Menschen abgrenzt: „Das Tier ist nicht unhistorisch, wohl aber historielos,
was beides sich nicht deckt“ (ebd., 30). Für problematisch hält Heidegger das
Konzept des ,Unhistorischen4 in UB II HL, weil N. damit im Hinblick auf Tier
und Mensch „etwas wesentlich Verschiedenes“ meint, ohne dass er „diese Ver-
schiedenheit zureichend herausstellt“ (ebd., 30).
In einer späteren Passage seiner Aufzeichnungen zu UB II HL reflektiert
Heidegger auch über den für N.s Selbstverständnis zentralen Anspruch auf
avantgardistische ,Unzeitgemäßheit4 (vgl. 246, 23 - 247, 11). In diesem Zusam-
menhang erklärt Heidegger: „jede wesentliche Philosophie denkt ,gegen4 das
Zeitalter“, und zwar nicht im Sinne von „Unzufriedenheit und Verdrießlichkeit
eines Besserwissens“, sondern indem sie auf „Enthüllung seines Wesens“ und
auf „Entscheidung seiner Zukunft“ zielt: als ein „Vor-denken in die wesentli-
chen Notwendigkeiten“, das per se „unzeitgemäß“ ist (Heidegger, Bd. 46, 2003,
105). Anschließend fragt er sich allerdings, „inwiefern Nietzsches Philosophie
im Ganzen unzeitgemäß im wesentlichen Sinne, inwiefern vielleicht allzu zeit-
gemäß“ ist, um dann fortzufahren: „Das Zeitgemäße ,wirkt4 und ,ist4 in der
Weise des Wirksamen. Das Unzeitgemäße ,wirkt4 nicht und bedarf nicht der
Wirkung4, um das Sein zu bestätigen“ (ebd., 105-106).
N.s Aussagen über die Philosophie in Abschnitt 5 von UB II HL erscheinen
Heidegger zu „unbestimmt und allgemein“, so dass er durch sie N.s „Besinnun-
gen über die Philosophie“ in der damaligen Zeit nicht repräsentiert sieht (ebd.,
 
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