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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0411
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Überblickskommentar, Kapitel 11.8: Wirkungsgeschichte 385

tenen Geschichtskonzepte (vgl. Schnädelbach 1974, 77-87): Während N. ,Le-
ben4 zum „Kriterium einer normativen Beurteilung der Historie“ erhebe (ebd.,
77) und in diesem Sinne auch eine ,Horizontbegrenzung4 zugunsten von Le-
bensinteressen in Gegenwart und Zukunft propagiere, hoffe Burckhardt gerade
auf eine Erweiterung des historischen Horizonts, um dadurch die zeitgenössi-
sche Kultur zu fördern und zugleich eine barbarische Geschichtslosigkeit zu
verhindern (vgl. ebd. 80). - Günter Figal nennt Burckhardts Buch Die Kultur
der Renaissance in Italien als mögliche Quelle für N.s Vorstellung der plasti-
schen Kraft4 (Figal 2009, 136). Vgl. dazu NK 251, 4-6. Vor dem Hintergrund der
hermeneutischen Tradition (Dilthey, Heidegger, Gadamer, Ricoeur) konstatiert
Figal: „Die kritischen Passagen der Historien-Schrift sind nicht ihre stärksten.
Nietzsches Polemik gegen den historischen Objektivismus zündet nicht mehr,
seine Witze“ gegen Hegel und von Hartmann „dürften kaum noch einen Leser
erheitern“ (ebd., 141). Denn „Nietzsche hatte Recht, und er hat Recht behalten.
Welcher Historiker würde noch bestreiten, dass die historische Erkenntnis an
die Situation des Erkennenden gebunden und durch seine Bedingtheit geprägt
ist?“ Genau aus diesem Grund sei es heutzutage auch nicht mehr nötig, die
Bedeutung des „Perspektivischen [...] gegen einen wissenschaftlichen Objekti-
vismus“ durchzusetzen (ebd., 141).
Curt Paul Janz konstatiert: „Diese II. Unzeitgemäße4 war also, anders als
der ,Strauß4, unzeitgemäß und ist es heute noch; ,unzeitgemäß4 im Sinne von
,gegen die Zeitströmung4, ein Appell gegen die Bequemlichkeit unkritisch
nachgebeteter Geschichtsinterpretationen“ (Janz 1978, Bd. 1, 562). - Volker
Gerhardt hebt eine Kontinuität zwischen der Geburt der Tragödie und UB II HL
hervor, da die „Gedankenfigur der ästhetischen Rechtfertigung des Daseins4
[...] auch in der Kritik des Historismus maßgebend“ sei: „eine Metaphysik des
endlichen Lebens [...], wie sie historisch erstmals bei Kant Konturen gewinnt“
(Gerhardt 1988, 140). Zugleich konstatiert Gerhardt in diesem Aufsatz von
1988: „Alle bisherigen Arbeiten über Nietzsches Geschichtskonzeption kranken
daran, daß sie die ästhetischen Momente nicht oder zu wenig berücksichtigen“
(ebd., 162). - Der Historiker Jens Thiel betont, „Nietzsches fundamentale Kritik
an der ,Historie4 als Wissenschaft“ bleibe „für jeden Historiker eine Herausfor-
derung. Sie gehört immer noch zu den an- und aufregendsten Texten, die es
zur Verortung des Faches und seiner professionellen Vertreter gibt“ (Thiel 2012,
477).
Katrin Meyer konstatiert, die Historienschrift N.s erfahre „gerade bei der
methodologischen Bestimmung der Geschichtsschreibung zur Zeit eine Renais-
sance“; sie erblickt N.s Bedeutung „für die aktuelle Diskussion“ darin, „dass
er den Begriffen ,Erinnerung4 und Vergessen4 ihre Eindimensionalität nimmt“
und damit einen „fruchtbaren Ansatz zur Bestimmung historiographischer ,Er-
 
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