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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0457
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Stellenkommentar UB II HL 2, KSA 1, S. 258 431

258,13-14 Die Geschichte gehört vor Allem dem Thätigen und Mächtigen, dem,
der einen grossen Kampf kämpft] Schon im 1. Kapitel der Historienschrift gilt
N.s Hauptinteresse der „That“ und den „Thätigen“, weil er das „Leben“ essenti-
ell als Tätigsein und Kampf betrachtet. In UB IV WB macht N. die „That“ im
Hinblick auf Richard Wagner zum Thema, den er sogar mit Alexander dem
Großen vergleicht. Über den Augenblick der Grundsteinlegung für das Bayreu-
ther Festspielhaus, der für Wagner singuläre Bedeutung hatte, sinniert N.:
„Was mag Alexander der Grosse in jenem Augenblicke gesehen haben, als er
Asien und Europa aus Einem Mischkrug trinken liess? Was aber Wagner an
jenem Tage innerlich schaute - wie er wurde, was er ist, was er sein wird -
das können wir, seine Nächsten, bis zu einem Grade nachschauen: und erst
von diesem Wagnerischen Blick aus werden wir seine grosse That selber verste-
hen können“ (KSA 1, 434, 28-34).
Durch eine Figura etymologica pointiert N. den „Kampf“, indem er sich
dem „Thätigen und Mächtigen“ zuwendet, „der einen grossen Kampf kämpft“
(258,13-14). Dieses für N. zentrale Thema hat kulturanthropologische Implika-
tionen, die er in UB IIISE markant formuliert: „die Menschheit soll fortwäh-
rend daran arbeiten, einzelne grosse Menschen zu erzeugen - und dies und
nichts Anderes sonst ist ihre Aufgabe“ (KSA 1, 383, 32 - 384, 2). Der „Kampf
für die Kultur“ hat letztlich „die Erzeugung des Genius“ zum Ziel (KSA 1, 386,
19-22). Denn nach N.s Überzeugung kommt es auch im Falle des Menschen -
wie in anderen Bereichen der Natur - „allein auf das einzelne höhere Exem-
plar“ an (KSA 1, 384, 5-6). Diese schon in UB III SE formulierte Einschätzung
setzt sich bis in die Lehre vom ,Übermenschen4 fort, die N. später in Also sprach
Zarathustra entfaltet. Bereits in „Zarathustra’s Vorrede“ wird der programmati-
sche Anspruch formuliert: „Ich lehre euch den Übermenschen. Der
Mensch ist Etwas, das überwunden werden soll. Was habt ihr gethan, ihn zu
überwinden? [...] Der Übermensch ist der Sinn der Erde“ (KSA 4, 14, 13-29).
„Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Thier und Übermensch, - ein Seil
über einem Abgrunde. [...] Was gross ist am Menschen, das ist, dass er eine
Brücke und kein Zweck ist: was geliebt werden kann am Menschen, das ist,
dass er ein Übergang und ein Untergang ist“ (KSA 4, 16, 25 - 17, 2).
Eine besondere Rolle spielt die Thematik des Kampfes auch im Zusammen-
hang mit Wagner. Schon in der Geburt der Tragödie pointiert N. die „Kämpfe“
sogar zweimal kurz nacheinander mit dem rhetorischen Stilmittel einer Figura
etymologica, um seinen Aussagen Nachdruck zu verleihen: „Besorgt, doch
nicht trostlos stehen wir eine kleine Weile bei Seite, als die Beschaulichen,
denen es erlaubt ist, Zeugen jener ungeheuren Kämpfe und Uebergänge zu
sein. Ach! Es ist der Zauber dieser Kämpfe, dass, wer sie schaut, sie auch kämp-
fen muss! [...] wir müssen mitten hinein in jene Kämpfe treten, welche, wie ich
 
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