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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0463
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Stellenkommentar UB II HL 2, KSA 1, S. 258-259 437

satirischen Wissenschaftskritik an zweiter und siebter Stelle nennt, bietet „der
Gelehrte aus Spieltrieb. Seine Ergötzlichkeit besteht darin, Knötchen in den
Wissenschaften zu suchen und sie zu lösen; wobei er sich nicht zu sehr an-
strengen mag, um das Gefühl des Spiels nicht zu verlieren“ (KSA 1, 398, 33 -
399, 2).
259, 4-6 er flieht vor der Resignation zurück und gebraucht die Geschichte als
Mittel gegen die Resignation] Konsequenterweise wehrt „der Thätige“ (258, 30-
31), auf den N. diese Aussage hier bezieht, die Resignation entschieden ab.
Denn er orientiert sich am Ideal der,Grösse4, dem besonders die ,monumentali-
sche Historie4 entspricht. Infolgedessen distanziert sich N. hier zugleich impli-
zit von Schopenhauer, für den das Telos der „Resignation“ im Horizont seines
fundamentalen Pessimismus so zentrale Bedeutung hat, dass es im Zusammen-
hang mit der,Verneinung des Willens zum Leben4 geradezu als Schlüsselbegriff
fungiert.
Das zeigen einschlägige Partien in Schopenhauers Welt als Wille und Vor-
stellung!/II. Hier empfiehlt er mit Nachdruck „die Resignation, welche das letz-
te Ziel, ja, das innerste Wesen aller Tugend und Heiligkeit, und die Erlösung
von der Welt ist“ (WWVI, § 27, Hü 182). Schopenhauer vertritt die These: „Nur
indem das Leiden die Form bloßer reiner Erkenntniß annimmt und sodann
diese als Quietiv des Willens wahre Resignation herbeiführt, ist es der
Weg zur Erlösung und dadurch ehrwürdig“ (WWV I, § 68, Hü 469). Und wenig
später resümiert er: „Allem Bisherigen zufolge geht die Verneinung des Willens
zum Leben, welches Dasjenige ist, was man gänzliche Resignation oder Heilig-
keit nennt, immer aus dem Quietiv des Willens hervor, welches die Erkenntniß
seines innern Widerstreits und seiner wesentlichen Nichtigkeit ist, die sich im
Leiden alles Lebenden aussprechen“ (WWV I, § 68, Hü 470).
Diese philosophische Konzeption ist von indischen Weisheitslehren maß-
geblich beeinflusst. Die Gemeinsamkeit besteht im Ideal einer „wahren Gelas-
senheit“, die sich im „Zustande der freiwilligen Entsagung [...] und gänzlichen
Willenslosigkeit“ einstellt (WWV I, § 68, Hü 448). Obwohl Schopenhauer selbst
wiederholt auf die Analogien zwischen der indischen Religion und seiner eige-
nen Ethik der Entsagung hinweist, erhebt er einen philosophischen Prioritäts-
anspruch: „Vielleicht ist also hier zum ersten Male, abstrakt und rein von allem
Mythischen, das innere Wesen der Heiligkeit, Selbstverleugnung, Ertödtung
des Eigenwillens, Askesis, ausgesprochen als Verneinung des Willens
zum Leben, eintretend, nachdem ihm die vollendete Erkenntniß seines eige-
nen Wesens zum Quietiv alles Wollens geworden“ (WWV I, § 68, Hü 452-
453). - Schopenhauers Konzept der Resignation hat primär in ethischem Kon-
text Relevanz, ist aber - in Gestalt der Tragödientheorie - zugleich auch mit
der Ästhetik vermittelt (vgl. dazu Neymeyr 1996a, 387-424). - In UB IIISE (vgl.
 
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