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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0481
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Stellenkommentar UB II HL 3, KSA 1, S. 266-267 455

der Historienschrift und merkte zum Zitat aus seiner Cultur der Renaissance in
Italien an: „Ihr freundliches Citat S. 29 macht mir einige Sorge; wie ich es lese,
dämmert mir auf, das Bild sei am Ende nicht ganz von mir, und Schnaase
könnte einmal sich ähnlich ausgedrückt haben. Nun, ich hoffe, es rückt mir’s
Niemand auf“ (KGB II4, Nr. 512, S. 395).
266,14 Niebuhr] Barthold Georg Niebuhr (1776-1831), einer der bedeutendsten
Althistoriker des 19. Jahrhunderts, begründete die historische Quellenkritik
und beeinflusste Ranke und Mommsen maßgeblich. Zu Niebuhr vgl. NK 254,
15. - Auch in UB III SE erwähnt N. den Historiker Niebuhr (KSA 1, 411, 27).
266, 26-31 wie Jeder weiss, der sich die furchtbaren Wirkungen abenteuernder
Auswanderungslust, etwa gar bei ganzen Völkerschwärmen, deutlich gemacht
hat, oder der den Zustand eines Volkes in der Nähe sieht, das die Treue gegen
seine Vorzeit verloren hat und einem rastlosen kosmopolitischen Wählen und Su-
chen nach Neuem und immer Neuem preisgegeben ist] In der Zeit der großen
Hungersnöte und der Verarmung breiter Bevölkerungsschichten, für die sich
der Begriff ,Pauperismus4 eingebürgert hat, emigrierten insbesondere nach
1840 mehrere Millionen Deutsche und Iren; sie wanderten vor allem nach Ame-
rika aus. Das Hauptmotiv dafür lag allerdings in der ökonomischen Misere;
sie spielte eine größere Rolle als die von N. angenommene kosmopolitische
Gesinnung oder Abenteuerlust. - Im Kontext der vorliegenden Stelle nennt N.
Niebuhr, der gerne „in Moor und Haide unter freien Bauern“ lebte (266, 15),
als Beispiel für eine Verwurzelung in „Heimat und Heimatsitte“ (266,19). Diese
Präferenz entspricht einer verbreiteten Reaktion auf die Industrialisierung und
die sich ankündigende Massengesellschaft in den rasch wachsenden Großstäd-
ten. Die radikalen Veränderungen in der Moderne führten in einem antagonisti-
schen Reflex zur Kultivierung des Volkstümlichen und zu einer Vorliebe für
idyllisierte Ländlichkeit, ja für das Leben in der Provinz. Daher hatten gerade
in dieser Zeit Heimatromane und Dorfgeschichten Konjunktur. Auch bedeuten-
de Autoren, etwa Adalbert Stifter, Gottfried Keller und Wilhelm Raabe, partizi-
pierten an dieser Strömung. Zu N.s Kritik am „rastlosen kosmopolitischen Wäh-
len und Suchen nach Neuem und immer Neuem“ finden sich Analogien in
anderen Frühschriften, in denen er sich ebenfalls gegen den Kosmopolitismus
ausspricht.
267, 2-3 was man jetzt mit Vorliebe als den eigentlich historischen Sinn bezeich-
net] In Menschliches, Allzumenschliches I betrachtet N. den „Mangel an histori-
schem Sinn“ als den „Erbfehler aller Philosophen“; denn ihnen sei bei ihrem
Streben nach einer vermeintlichen „aeterna veritas“ nicht bewusst, „dass der
Mensch geworden ist, dass auch das Erkenntnissvermögen geworden ist“
(KSA 2, 24, 20-31). N.s Quintessenz angesichts der von ihm diagnostizierten
 
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