Metadaten

Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0490
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
464 Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben

269, 25-27 „Denn Alles was entsteht, ist werth, dass es zu Grunde geht. Drum
besser wär’s, dass nichts entstünde.“] Hier zitiert N. aus der Passage in Goethes
Faust I, in der sich Mephistopheles dem Protagonisten mit einer nihilistischen
Programmatik vorstellt. Auf Fausts Frage „Nun gut, wer bist du denn?“ (V. 1334)
antwortet er: „Ein Teil von jener Kraft, / Die stets das Böse will und stets das
Gute schafft“ (V. 1335-1336), um dann zu erklären: „Ich bin der Geist, der stets
verneint! / Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, / Ist wert, daß es
zugrunde geht; / Drum besser wär’s, daß nichts entstünde. / So ist denn alles,
was ihr Sünde, / Zerstörung, kurz das Böse nennt, / Mein eigentliches Element“
(V. 1338-1344). - Auf diese Selbstcharakterisierung nimmt N. später auch in
UB III SE Bezug, deutet die Korrelation zwischen Faust und Mephisto dabei
allerdings um: „Man sollte denken, dass Faust durch das überall bedrängte
Leben als unersättlicher Empörer und Befreier geführt werde, als die vernei-
nende Kraft aus Güte, als der eigentliche [...] dämonische Genius des Umstur-
zes, zum Gegensätze seines durchaus undämonischen Begleiters [...]. Aber man
irrt sich, wenn man etwas Derartiges erwartet; der Mensch Goethe’s weicht hier
dem Menschen Rousseau’s aus; denn er hasst [...] jede That“ (370, 10-21). Auf
den besagten Antagonismus von Gut und Böse rekurriert N., indem er „die
verneinende Kraft aus Güte“ bei Faust vermisst. Nachdem er die Faust-Figur
Goethes bloß hypothetisch durch Charakteristika Mephistos überformt hat, ver-
wirft er eine solche Deutung selbst, indem er feststellt: „so wird aus dem Welt-
befreier Faust gleichsam nur ein Weltreisender“ (370, 21-22). Auf dieser Basis
grenzt N. anschließend die Anthropologie Goethes von derjenigen Rousseaus
ab. Vgl. auch NK 370, 19-22.
269, 28-32 Luther selbst hat einmal gemeint, dass die Welt nur durch eine Ver-
gesslichkeit Gottes entstanden sei; wenn Gott nämlich an das „schwere Ge-
schütz“ gedacht hätte, er würde die Welt nicht geschaffen haben.] Dieses Luther-
zitat notiert N. auch in einem nachgelassenen Notat, und zwar mit dem
Kommentar: „Vergessen gehört nun einmal zu allem Schaffen“ (NL 1873, 29
[180], KSA 7, 706). Emanuel Hirsch (1998, 171) formuliert die Vermutung, das
Luther-Zitat stamme aus Luthers Tischreden: vgl. D. Martin Luthers Werke (Kri-
tische Gesamtausgabe), Bd. 3, 1914, 403-404. Hirschs Hypothese wird bestrit-
ten von Albrecht Beutel 2005, 121-122 (Anm. 18).
270, 9-15 Denn da wir nun einmal die Resultate früherer Geschlechter sind, sind
wir auch die Resultate ihrer Verirrungen, Leidenschaften und Irrthümer, ja Ver-
brechen; es ist nicht möglich sich ganz von dieser Kette zu lösen. Wenn wir jene
Verirrungen verurtheilen und uns ihrer für enthoben erachten, so ist die Thatsa-
che nicht beseitigt, dass wir aus ihnen herstammen.] Wörtliche Übereinstim-
mungen signalisieren, dass N. sich hier am Wortlaut der Anfangspassage von
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften