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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0505
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Stellenkommentar UB II HL 5, KSA 1, S. 278-279 479

Form und Inhalt, von Innerlichkeit und Convention] Schon im
1. Kapitel von UB I DS befürchtet N. die „Exstirpation des deutschen
Geistes zu Gunsten des ,deutschen Reiches4.“ (KSA 1,160,1-2.) Die
Perspektive auf die politische Wiedervereinigung ergänzt er in seiner Historien-
schrift um die Vorstellung einer kulturellen Wiedervereinigung, indem er eine
universelle Utopie entwirft: die (allerdings recht vage bleibende) Idee einer
„Einheit des deutschen Geistes und Lebens“ (278, 30-31), in der die
Divergenz von Inhalt und Form ,aufgehoben4 werden soll. Dadurch erhofft sich
N. eine konstruktive Synthese, die auch als Modell für eine gesamtkulturelle
Einheit fungieren kann. Allerdings handelt es sich dabei letztlich bloß um eine
analogisierende Konstruktion von Einheit.

5.
279, 11-13 der jederzeit schädliche Glaube an das Alter der Menschheit, der
Glaube, Spätling und Epigone zu sein] Die zeittypische Problematik der Epigo-
nalität, die seit den 1830er Jahren zu einem zentralen Thema der Kulturkritik
wurde, hat auch in N.s frühe Werke Eingang gefunden. Er reflektiert sie vor
allem in der Historienschrift (279, 11-13; 295, 6-7; 307, 17-23; 308, 11-12; 333,
22), aber auch in UB I DS (KSA 1, 169, 15-18) und UB III SE (KSA 1, 344, 31-34)
sowie zuvor bereits in der Geburt der Tragödie (KSA 1, 75, 29-30). - Vgl. hierzu
die Kommentare zu UB II HL (295, 4-7; 306,13-19), UB I DS (KSA 1,169,15-18),
UB III SE (KSA 1, 344, 31-34; 350, 20-21) und GT (KSA 1, 75, 29-30).
279, 13-14 durch dieses Uebermaass geräth eine Zeit in die gefährliche Stim-
mung der Ironie über sich selbst] Vgl. dazu NK 306, 13-19 und NK 312, 1-6.
279, 24 Götter-, Sitten- und Künste-Carnevale] Hier korreliert N. Aspekte der
Dekadenz in der römischen Kaiserzeit mit der diffusen geistigen Situation mo-
derner Menschen, die seines Erachtens auf ähnliche Weise wie die spätzeitli-
chen Römer durch die Vielfalt von „kosmopolitischen“ Impulsen (279, 23) in
einen Zustand der Desorientierung geraten. Schon in UB I DS verwendet N.
eine analoge Formulierung, setzt dabei allerdings einen anderen historischen
Akzent: Hier ist vom „Carneval aller Götter und Mythen“ die Rede, „den die
Romantiker zusammenbrachten“ (KSA 1, 168, 25-27).
279, 25-26 fortwährend das Fest einer Weltausstellung] Die erste Weltausstel-
lung wurde bereits im Jahre 1851 in London veranstaltet, dann folgten - jeweils
im Abstand von mehreren Jahren - Weltausstellungen in anderen Metropolen,
etwa in Paris und Wien.
 
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