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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0511
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Stellenkommentar UB II HL 5, KSA 1, S. 282-285 485

physischer Überrest der anatomischen „Section“ zur Verfügung stehen kann.
In übertragenem Sinne spricht man auch von einem Text-Corpus. Die Relevanz
dieser Vorstellung für den vorliegenden Kontext erhellt schon daraus, dass hier
von den „Ueberresten griechischer Dichter“ und vor allem von „litterarischen
corpora“ die Rede ist (283, 26-28). - Das lateinische Wort ,vilia‘ ist die sub-
stantivierte Pluralform des Adjektivs ,vilis‘. Es bedeutet: wohlfeil, billig. In über-
tragener Bedeutung bezeichnet es etwas Wertloses, etwas, das nur geringe Be-
deutung hat. Mit ,vilia rerum‘ meinten die Römer wertloses Zeug. - Die im
vorliegenden Textzusammenhang dominierende Vorstellung der Sektion führt
N. wenig später mit der Bemerkung weiter, dass sich „der ausgehöhlte Bil-
dungsmensch“, unbeeindruckt von einem „Werk“, einseitig auf die „Historie
des Autors“ konzentriert (284, 22-23) und dessen Werke vergleichend im Hin-
blick „auf die Wahl seines Stoffes, auf seine Behandlung hin secirt“ (284, 27).
284, 7-8 da euch das Ewig-Weibliche nie hinanziehen wird] Anspielung auf
die Schlussverse des Chorus Mysticus am Ende von Goethes Drama Faust. Der
Tragödie zweiter Teil (V. 12104-12111): „Alles Vergängliche / Ist nur ein Gleich-
nis, / Das Unzulängliche / Hier wird’s Ereignis; / Das Unbeschreibliche / Hier
ist’s getan; / Das Ewig-Weibliche / Zieht uns hinan“ (Goethe: FA, Bd. 7/1, 464).
285, 5 selbst bei sothaner „Wirkung“] N. verwendet hier einen inzwischen anti-
quierten Ausdruck mit der Bedeutung: selbst bei einer solchen Wirkung.
285, 8-10 Die historische Bildung unserer Kritiker erlaubt gar nicht mehr, dass
es zu einer Wirkung im eigentlichen Verstände, nämlich zu einer Wirkung auf
Leben und Handeln komme] Bereits in der vorangegangenen Textpartie atta-
ckiert N. die sterile „Kritik“ der „historisch Neutralen“, die selbst auf „das Er-
staunlichste“ reflexhaft ihr „Echo“ bloß als „Kritik“ erschallen lassen, obwohl
sie noch kurz zuvor gar nichts „von der Möglichkeit des Geschehenden“ ahnten
(284, 29-34). - N.s Auseinandersetzung mit den Kritikern und dem Phänomen
der Kritik im Allgemeinen beginnt schon in der Geburt der Tragödie. Dort
schließt N. an Wagner an, der die „Kritiker“ prinzipiell abwertete. - Hierzu
und zum historischen Hintergrund vgl. NK 1/1, 382-385.
285,19 die Schwäche der modernen Persönlichkeit] Bereits kurz zuvor konsta-
tiert N.: „der moderne Mensch leidet an einer geschwächten Persönlichkeit“
(279, 19-20). Und einige Seiten später erklärt er dezidiert: „die Geschichte
wird nur von starken Persönlichkeiten ertragen, die schwa-
chen löscht sie vollends aus“ (283,13-15). In einem Nachlass-Notat aus
der Entstehungszeit der Historienschrift zitiert N. wörtlich aus Grillparzers Stu-
dien zur Philosophie und Religion (Grillparzer: Sämmtliche Werke, Bd. 8, 1872,
353): „Grillparzer: ,Der Grundfehler des deutschen Denkens und Strebens
 
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