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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0531
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Stellenkommentar UB II HL 6, KSA 1, S. 295 505

dieselbe zu entbehren! die nicht leben könnten ohne die Größe und den Ruhm
ihrer Vorgänger“, von denen sie sich zugleich „erdrückt fühlen“ (Prutz 1975,
248).
Die Problematik der Epigonen reflektiert N. vor allem in der Geburt der
Tragödie (KSA 1, 75, 29-30) und in den Unzeitgemässen Betrachtungen (169,16-
18; 279, 11-13; 295, 6-7; 307, 17-23; 308, 11-12, 333, 22; 344, 31-34). Vgl. dazu
jeweils die Informationen in den Stellenkommentaren. UB II HL ist diesbezüg-
lich von besonderer Bedeutung, weil N. hier zugleich auch über das Problem
einer Lähmung kreativer Kräfte und die kulturelle Stagnation reflektiert, die
durch vorschnelle Resignation entstehen können. Einen kulturpsychologi-
schen Akzent setzt er schon in UB IDS, indem er diejenigen kritisiert, die „den
Begriff des Epigonen-Zeitalters“ bloß strategisch einsetzen, „um Ruhe zu ha-
ben“ und alle für sie „unbequemen“ kulturellen Innovationen sofort mit dem
Etikett „Epigonenwerk“ stigmatisieren und abweisen zu können (KSA 1, 169,
15-18). N. selbst wendet sich energisch gegen solche eskapistischen Strategien,
die er durch Hass gegen „den dominirenden Genius und die Tyrannis wirkli-
cher Kulturforderungen“ (KSA 1, 169, 30-31) bedingt sieht. Der Fehlhaltung,
die er bei seinen Zeitgenossen diagnostiziert, hält er seine eigenen kultur-
schöpferischen Intentionen entgegen: Den ,,lähmend[en]“ Glauben, „ein Spät-
ling der Zeiten“ (308, 11-12), also ein bloßer „Epigone zu sein“ (279, 13), will
N. durch einen „vorwärts“ (295, 1) gerichteten Blick auf künftige Lebensmög-
lichkeiten ersetzen. Es gelte „das Problem der Historie“ zu lösen: Darin liegt
für N. „der Imperativ des Geistes der ,neuen Zeit4, falls in ihr wirklich etwas
Neues, Mächtiges, Lebenverheissendes und Ursprüngliches ist“ (306, 9-13). Zu
dem von N. konstatierten Stilpluralismus in der Epoche des Historismus vgl.
NK 273, 34 - 274, 5.
295,18-20 Sättigt eure Seelen an Plutarch und wagt es an euch selbst zu glau-
ben, indem ihr an seine Helden glaubt] Als Antidot gegen die Missstände seiner
eigenen Zeit empfiehlt N. hier den griechischen Philosophen und Historiker
Plutarchos (ca. 50-125 n. Chr.), der bereits seit dem Humanismus zum Bil-
dungskanon gehörte. Traditionell galt die Plutarch-Lektüre als obligatorischer
Bestandteil des Erziehungswesens. In seinen Parallelen Lebensläufen vergleicht
Plutarch bedeutende antike Persönlichkeiten, indem er 44 berühmte Griechen
und Römer in teils anekdotischen Charakterisierungen einander gegenüber-
stellt, beispielsweise Alexander den Großen und Cäsar. Auf diese humanisti-
sche Tradition, die später ins Heroisch-Idealische stilisiert wurde, greift N. im
vorliegenden Kontext zurück, indem er Plutarchs Helden zu unzeitgemäßen
Vorbildern für den modernen Menschen erhebt. Zugleich schließt er damit an
den Typus der monumentalischen Historie an, die er im 2. Kapitel von UB II HL
darstellt (258-264). - Hegel hatte in seinen Vorlesungen über die Philosophie
 
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