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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0544
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518 Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben

„eine gründliche Umbildung, ja Schwächung und Aufhebung des Individu-
ums“ (KSA 3, 124, 24-25). In Jenseits von Gut und Böse kontrastiert N. „die
europäische noblesse“ französischer Provenienz mit der durch das Utilitäts-
denken verursachten „europäische[n] Gemeinheit“, die er als „Plebejismus der
modernen Ideen - Englands“ etikettiert (KSA 5, 197, 31 - 198, 2). Gegen wen
sich diese allgemein gehaltene Polemik konkret richtet, tritt zutage, wenn N.
den „Geist achtbarer, aber mittelmässiger Engländer“ durch „Darwin, John
Stuart Mill und Herbert Spencer“ exemplifiziert (KSA 3,196, 27-29). Feststellen
lässt sich, dass N. dazu neigt, seine Vorbehalte gegenüber Mill im Rahmen
seiner Kulturkritik zu generalisieren und sie dabei pauschal auf ökonomische,
soziale und ethische Probleme seiner Zeit zu beziehen. Vgl. dazu Brose 1990,
132-162.
299, 29-30 „zu scheusslichen Klumpen geballt“] Zitat aus Schillers Ballade Der
Taucher (V. 115-117): „Schwarz wimmelten da, in grausem Gemisch, / Zu
scheußlichen Klumpen geballt, / Der stachlichte Roche, der Klippenfisch.“
300, 3-9 das Wort und die Stimmung Hölderlins beim Lesen des Laertius Dioge-
nes über Leben und Lehren griechischer Philosophen: „ich habe auch hier wieder
erfahren, was mir schon manchmal begegnet ist, dass mir nämlich das Vorüber-
gehende und Abwechselnde der menschlichen Gedanken und Systeme fast tragi-
scher aufgefallen ist, als die Schicksale, die man gewöhnlich allein die wirklichen
nennt.“] Über Diogenes Laertius hatte N. selbst 1868/69 in der Zeitschrift „Rhei-
nisches Museum“ seine zweiteilige philologische Quellenstudie De Laertii Dio-
genis fontibus I/II publiziert: ebd., 1868, 632-653 (vgl. KGW II1, 75-104) und
1869, 181-228 (vgl. KGW II1, 104-167). Daher war er mit dessen Werk Leben
und Meinungen berühmter Philosophen vertraut. (Vgl. auch die neuere Edition
zu Diogenes Laertius’ Leben und Meinungen berühmter Philosophen, 2008.) Im
vorliegenden Kontext zitiert N. wortgetreu aus Hölderlins Brief vom 24. Dezem-
ber 1798 an Isaac von Sinclair, seinen besten Freund (Hölderlin: Briefe, 1992,
327). - Zu Diogenes Laertius, den N. in UBIII SE ebenfalls erwähnt (KSA 1, 417,
14), vgl. auch NK 211, 31-33.
Die Dichtung Hölderlins hatte für N. seit seiner Jugend besondere Bedeu-
tung. Das geht schon aus einem Brief an Erwin Rohde vom 3. September 1869
hervor, in dem N. ein „Wort Hölderlin’s (meines Lieblings aus der Gymnasial-
zeit)“ zitiert (KSB 3, Nr. 28, S. 51). In UB I DS hebt N. das „Andenken des herr-
lichen Hölderlin“ hervor (KSA 1, 172, 1) und kritisiert zugleich die Philister-
Mentalität der eigenen Zeitgenossen, die der Besonderheit Hölderlins seines
Erachtens nicht gerecht zu werden vermögen. Und in UB III SE paraphrasiert
N. ohne Nennung des Autornamens die Schlusspartie von Hölderlins zweistro-
phiger Ode Sokrates und Alcibiades, indem er die „Siegreichen“ erwähnt, „die,
 
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