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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0561
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Stellenkommentar UB II HL 8, KSA 1, S. 308 535

diesem lächerlich kleinen Ausschnitt des menschlichen Daseins redet“, um
dann „selbst in dieser sogenannten Weltgeschichte“ letztlich nur einen „Lärm
um die letzten Neuigkeiten“ zu erblicken (KSA 3, 31, 25-30).
Übrigens berichtet N. in den Jahren 1882 und 1883 mehrfach brieflich über
eigene Chancen auf eine Professur für Weltgeschichte4: So teilt er Heinrich
Köselitz am 16. September 1882 mit: ,Jak<ob> Burckhardt will, daß ich Profes-
sor der Weltgeschichte4 werde; ich lege seinen Brief bei“ (KSB 6, Nr. 307,
S. 263). Gegenüber Lou von Salome sinniert N. zur gleichen Zeit: „vielleicht
möchte er mich gerne als Nachfolger in seiner Professur? - Aber über mein
Leben ist schon verfügt“ (KSB 6, Nr. 305, S. 259). Und Anfang April 1883 zitiert
er Burckhardt im Brief an Franz Overbeck so: „Jakob Burckhardt hat mich sehr
eindringlich aufgefordert, Weltgeschichte ex professo zu dociren4 - mit Hin-
deutungen auf seinen Lebensabend“ (KSB 6, Nr. 398, S. 354).
308,19-26 eine solche Betrachtungsart hat die Geschichte an Stelle der ande-
ren geistigen Mächte, Kunst und Religion, als einzig souverän gesetzt, insofern
sie „der sich selbst realisirende Begriff“, in sofern sie „die Dialektik der Völker-
geister“ und das „Weltgericht“ ist. / Man hat diese Hegelisch verstandene Ge-
schichte mit Hohn das Wandeln Gottes auf der Erde genannt, welcher Gott aber
seinerseits erst durch die Geschichte gemacht wird] Hier zitiert N. aus Franz
Grillparzers Studie Zur Literargeschichte, in der sich dieser „der neudeutschen
Verehrung der Geschichte“ zuwendet: „Da ist denn die Geschichte der sich
selbst realisirende Begriff, und noch dazu mit nachweisbarer Nothwendigkeit
und zu immerwährendem Fortschritt. Hier hört auf einmal der praktische Nut-
zen der Geschichte auf, und sie bekommt dafür einen theoretischen Heiligen-
schein. Sie ist das Wandeln Gottes auf der Erde, welcher Gott aber seinerseits
durch die Geschichte erst gemacht wird“ (Grillparzer: Sämmtliche Werke, Bd. 9,
1872, 157).
Außerdem zitiert N. im vorliegenden Kontext aus Hegels Enzyklopädie der
philosophischen Wissenschaften, die sich als einziges Werk Hegels in seiner
persönlichen Bibliothek befand. Hier heißt es unter der Überschrift ,Die Welt-
geschichte4 (§ 548): „Der bestimmte Volksgeist, da er wirklich und seine Frei-
heit als Natur ist, hat nach dieser Naturseite das Moment geographischer und
klimatischer Bestimmtheit; er ist in der Zeit und hat dem Inhalte nach wesent-
lich ein besonderes Prinzip und eine dadurch bestimmte Entwicklung seines
Bewußtseins und seiner Wirklichkeit durchlaufen; - er hat eine Geschichte in-
nerhalb seiner. Als beschränkter Geist ist seine Selbständigkeit ein Untergeord-
netes; er geht in die allgemeine Weltgeschichte über, deren Begebenheiten die
Dialektik der besonderen Völkergeister, das Weltgericht, darstellt“ (G. W. F. He-
gel: Werke in 20 Bänden, 1986, Bd. 10, 347).
 
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