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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0564
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538 Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben

delt es sich um eine musikalische Form, die einen Refrain als wiederkehrendes
Element mit anderen Teilen wechseln lässt.
309, 3 „Macht der Geschichte“] Dieser Ausdruck wurde von zahlreichen Auto-
ren verwendet, besonders häufig von Franz Grillparzer. Im näheren Kontext
der von N. zitierten Textstelle (290, TI - 291, 7) erklärt Grillparzer in seiner
Schrift Ueber den Nutzen des Studiums der Geschichte: „Einer der schielenden
Ausdrücke unserer Zeit ist, wenn man von der Macht der Geschichte spricht.
Ich weiß nicht, warum man nicht lieber sagt: die Macht der Begebenheiten,
welche allerdings die größte ist, die es gibt. Die Geschichte ist nur unser Wis-
sen von den Begebenheiten, und letztere haben gewirkt, ehe es noch eine Ge-
schichte gab, und wirken noch jetzt, wenn auch Niemand von ihnen weiß. Es
gibt eine Macht der Geschichte, nämlich die alles Wissens und Erkennens, wel-
che aber auf die Begebenheiten oder den Weltlauf eine nur sekundäre Wirkung
ausübt. Derlei Worte werden von den Pedanten in Gang gebracht, um ihrem
armseligen Wissen ein Scheinleben anzudichten, oder von Phantasten, die sich
im Besitz einer natürlichen Magie glauben, weil die Natur allerdings für uns
eine Magie ist“ (Grillparzer: Sämmtliche Werke, Bd. 9, 1872, 39).
309, 4-8 [....] zum Götzendienste des Thatsächlichen [...]: für welchen Dienst
man sich jetzt die sehr mythologische und ausserdem recht gut deutsche Wen-
dung „den Thatsachen Rechnung tragen“ allgemein eingeübt hat] Hier spielt N.
auf die zeitgenössische, auch in der Popularphilosophie verbreitete Präferenz
für „Thatsachen“ an, auf die man sich in der damaligen Zeit wiederholt berief.
309, 34 sine ira et Studio] Diese lateinische Wendung hat die Bedeutung ,ohne
Zorn und Eifer4. Gemeint ist ein Verhalten, das sich weder von Antipathie noch
von Sympathie leiten lässt, sondern sachlich bleibt, weil es sich jeder Partei-
lichkeit enthält. Dieses Prinzip machte der römische Historiker Tacitus (ca. 55-
120) zum Motto seines Werkes Annalen (11).
310, 9-10 dass ein Raffael sechs und dreissig Jahr alt sterben musste] Der italie-
nische Maler und Baumeister Raffael, eigentlich Raffaello Santi (Sanzio), lebte
von 1483 bis 1520 und war vor allem in Florenz und Rom tätig. Neben Leonardo
da Vinci und Michelangelo gehört Raffael zu den bedeutendsten Künstlern der
Hochrenaissance. Aufgrund ihrer subtilen Kompositionen mit ausgeprägten fi-
guralen Wechselbeziehungen gelten seine Werke, darunter zahlreiche Porträts
und Madonnendarstellungen, aber auch vielfigurige Fresken und monumenta-
le Tafelbilder, als Inbegriff einer klassischen Vollkommenheit. Bis in die Mo-
derne wurde Raffaels ästhetisches Ideal von Schönheit und Anmut als paradig-
matisch angesehen.
310,11-16 Apologeten des Thatsächlichen [...] Advocaten des Teufels] Über ein
bloßes Akzeptieren der Tatsachen hinaus (vgl. 309, 7: „den Thatsachen Rech-
 
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