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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0593
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Stellenkommentar UB II HL 10, KSA 1, S. 327-329 567

1980, 1065: „Les plus griefs et ordinaires maux sont ceux que la fantasie nous
Charge. Ce mot Espagnol me plait ä plusieurs visages: ,Defienda me Dios de
my.4“ - Vgl. Antonio Morillas Esteban 2008a, 260, der auch mögliche spanische
Quellen nennt und auf die in N.s Bibliothek befindliche deutsche Übersetzung
von Michel de Montaignes Essais (1754) hinweist (NPB 394). N. hatte Montaig-
nes Essais durch Wagner geschenkt bekommen, wie er am 30. Dezember 1870
in einem Brief berichtet: „Zu Weihnachten bekam ich [...] eine stattliche Ausga-
be des ganzen Montaigne (den ich sehr verehre)“ (KSB 3, Nr. 116, S. 172). - Mi-
chel Eyquem de Montaigne (1533-1592) begründete mit seinen meditativ oder
skeptisch konzipierten Essais (1580) die Gattung des Essays, den er als offenen
Denkprozess verstand, als ein methodisches Experimentieren mit intellektuel-
len Möglichkeiten ohne fixiertes Erkenntnisziel. Durch das Beleuchten des je-
weiligen Themas unter verschiedenen Perspektiven regte Montaigne die Leser
seiner Essais zu eigenem Nachdenken an. N. besaß zwei Ausgaben von Mon-
taignes Essais, und zwar Michel de Montaigne: Essais, 1864 (NPB 393) und die
deutsche Übersetzung: Michel de Montaigne [Auf dem Titelblatt: Michaels
Herrn von Montagne (sic)]: Versuche, nebst des Verfassers Leben, 3 Theile,
1753-1754 (NPB 393-394). Zu Montaigne vgl. auch NK 444, 9-11.
329, 3 mit Begriffen wie mit Drachenzähnen übersäet] Anspielung auf Kadmos,
den Gründer von Theben. Dem Mythos zufolge hatte er in den thebanischen
Acker Drachenzähne gesät, aus denen dann ein Heer gerüsteter Männer ent-
sprang. Gegen die Reduktion auf ,Begriffe4 und dementsprechend gegen die
„Begriffs- und Wort-Fabrik“ (329, 7) wendet sich N. durchgehend in seinen
Frühschriften, besonders prägnant in Ueber Wahrheit und Lüge im aussermora-
lischen Sinne. Zugleich richtet sich N.s Kritik implizit auch gegen Schopenhau-
ers Antipoden Hegel und dessen ,Begriffe4.
329, 6-9 als eine solche unlebendige und doch unheimlich regsame Begriffs-
und Wort-Fabrik habe ich vielleicht noch das Recht von mir zu sagen cogito, ergo
sum, nicht aber vivo, ergo cogito.] In dieser indirekten Argumentation plädiert
N. anticartesianisch für einen Primat des Lebens gegenüber dem Denken: Im
Medium der Negation spricht er sich entschieden für ein „vivo, ergo cogito“
aus, indem er das „cogito, ergo sum“ mit einem sterilen Rationalismus assozi-
iert, dem er selbst vitalistische Prinzipien entgegenhält. Seine kritische Distanz
gegenüber dem berühmten Diktum „cogito, ergo sum“ von Rene Descartes
bringt N. wenig später auch mit der rhetorischen Frage zum Ausdruck: „Soll
nun das Leben über das Erkennen, über die Wissenschaft, soll das Erkennen
über das Leben herrschen?“ (330, 30-31). Und seine Antwort lautet: „Niemand
wird zweifeln: das Leben ist die höhere, die herrschende Gewalt, denn ein Er-
kennen, welches das Leben vernichtete, würde sich selbst mit vernichtet ha-
 
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