Überblickskommentar 9
danken sei es zur Erholung, sei es als Selbstverhör und Selbstrechtfertigung
inmitten eines unbegrenzt gewagten und verantwortlichen Unterfangens:
möge man sich des aus ihnen erwachsenen Buches zu einem ähnlichen Zwecke
bedienen! Oder auch als eines vielverschlungenen Fußwegs, der immer wieder
unvermerkt zu jenem gefährlichen und vulkanischen Boden hinlockt, aus dem
das eben genannte Zarathustra-Evangelium entsprungen. So gewiß auch dies
»Vorspiel einer Philosophie der Zukunft4 keinen Commentar zu den Reden Zara-
thustra’s abgiebt und abgeben soll, so vielleicht doch eine Art vorläufiges Glos-
sarium, in dem die wichtigsten Begriffs- und Werth-Neuerungen jenes Buchs —
eines Ereignisses ohne Vorbild, Beispiel, Gleichniß in aller Litteratur — irgend-
wo einmal vorkommen und mit Namen genannt sind.“ (NL 1886/87, KSA 12,
6 [4], 233, 26-234, 18, vgl. KSA 14, 345) Nach Mazzino Montinari „gibt N.“ hier
„eine genaue Darstellung vom Platz, den Jenseits von Gut und Böse unter sei-
nen Schriften einnimmt“ (KSA 14, 345). N. scheint in diesem Text sogar noch
weitergehende Informationen zu liefern, nämlich nicht nur zu verraten, wie es
um die Stellung von JGB im Corpus seiner Schriften bestellt ist, sondern auch,
welche Konzeption diesem Werk zugrunde liegt, nämlich diejenige eines „Glos-
sariums“ zu den terminologischen Innovationen von Za. Das Wort „Glos-
sarium)“ ist in N.s Werken und philosophischem Nachlass ein Hapax legome-
non, während seinem frühen philologischen Nachlass entnommen werden
kann, dass N. das Homerische Glossar von Apion und Heliodor kannte (NL
1868/69, P I 12, 74[6], KGW I 5, 75, 11). Das verweist auf N.s philologischen
Hintergrund - sein Lehrer Friedrich Ritschi behandelte beispielsweise in sei-
nen Plautus-Studien das Glossarium Plautinum (Ritschi 1868, 2, 228-273). Ein
Glossarium ist nach zeitgenössischem Verständnis schlicht ein „Wörterbuch,
namentlich zur Erklärung dunkler, wenig gebräuchlicher Wörter“ (Meyer
1885-1892, 7, 442). Das Glossarium erklärt demzufolge also Dunkles und Unver-
ständliches, übersetzt es in eine andere, verständlichere Sprache. Das scheint
N. im Sinn gehabt zu haben, als er Jacob Burckhardt am 22. 09.1886 wissen
ließ, dass JGB „dieselben Dinge sagt, wie mein Zarathustra, aber anders, sehr
anders“ (KSB 7/KGB III/3, Nr. 754, S. 254, Z. 10 f.).
Dann wäre JGB nach Meinung seines Verfassers ein erläuterndes Wörter-
buch zu Za. Diese Charakterisierung wirft freilich bei näherem Hinsehen mehr
Fragen auf, als sie beantwortet. Schon im zitierten Nachlasstext 6[4] gibt sich
N. vorbehaltvoll: Es heißt nicht, JGB sei ein „Glossarium“, das die wichtigen
neuen Zarathustra-Begriffe und -Werte aufliste, sondern „vielleicht doch eine
Art vorläufiges Glossarium“, in dem diese Begriffe und Werte „irgendwo ein-
mal vorkommen und mit Namen genannt sind“. Das impliziert, dass alles Mög-
liche sonst in diesem Buch gleichfalls vorkommen kann, das sich eventuell im
Glossar-Sein nicht erschöpft. Viele Interpreten haben die Äußerungen N.s, die
danken sei es zur Erholung, sei es als Selbstverhör und Selbstrechtfertigung
inmitten eines unbegrenzt gewagten und verantwortlichen Unterfangens:
möge man sich des aus ihnen erwachsenen Buches zu einem ähnlichen Zwecke
bedienen! Oder auch als eines vielverschlungenen Fußwegs, der immer wieder
unvermerkt zu jenem gefährlichen und vulkanischen Boden hinlockt, aus dem
das eben genannte Zarathustra-Evangelium entsprungen. So gewiß auch dies
»Vorspiel einer Philosophie der Zukunft4 keinen Commentar zu den Reden Zara-
thustra’s abgiebt und abgeben soll, so vielleicht doch eine Art vorläufiges Glos-
sarium, in dem die wichtigsten Begriffs- und Werth-Neuerungen jenes Buchs —
eines Ereignisses ohne Vorbild, Beispiel, Gleichniß in aller Litteratur — irgend-
wo einmal vorkommen und mit Namen genannt sind.“ (NL 1886/87, KSA 12,
6 [4], 233, 26-234, 18, vgl. KSA 14, 345) Nach Mazzino Montinari „gibt N.“ hier
„eine genaue Darstellung vom Platz, den Jenseits von Gut und Böse unter sei-
nen Schriften einnimmt“ (KSA 14, 345). N. scheint in diesem Text sogar noch
weitergehende Informationen zu liefern, nämlich nicht nur zu verraten, wie es
um die Stellung von JGB im Corpus seiner Schriften bestellt ist, sondern auch,
welche Konzeption diesem Werk zugrunde liegt, nämlich diejenige eines „Glos-
sariums“ zu den terminologischen Innovationen von Za. Das Wort „Glos-
sarium)“ ist in N.s Werken und philosophischem Nachlass ein Hapax legome-
non, während seinem frühen philologischen Nachlass entnommen werden
kann, dass N. das Homerische Glossar von Apion und Heliodor kannte (NL
1868/69, P I 12, 74[6], KGW I 5, 75, 11). Das verweist auf N.s philologischen
Hintergrund - sein Lehrer Friedrich Ritschi behandelte beispielsweise in sei-
nen Plautus-Studien das Glossarium Plautinum (Ritschi 1868, 2, 228-273). Ein
Glossarium ist nach zeitgenössischem Verständnis schlicht ein „Wörterbuch,
namentlich zur Erklärung dunkler, wenig gebräuchlicher Wörter“ (Meyer
1885-1892, 7, 442). Das Glossarium erklärt demzufolge also Dunkles und Unver-
ständliches, übersetzt es in eine andere, verständlichere Sprache. Das scheint
N. im Sinn gehabt zu haben, als er Jacob Burckhardt am 22. 09.1886 wissen
ließ, dass JGB „dieselben Dinge sagt, wie mein Zarathustra, aber anders, sehr
anders“ (KSB 7/KGB III/3, Nr. 754, S. 254, Z. 10 f.).
Dann wäre JGB nach Meinung seines Verfassers ein erläuterndes Wörter-
buch zu Za. Diese Charakterisierung wirft freilich bei näherem Hinsehen mehr
Fragen auf, als sie beantwortet. Schon im zitierten Nachlasstext 6[4] gibt sich
N. vorbehaltvoll: Es heißt nicht, JGB sei ein „Glossarium“, das die wichtigen
neuen Zarathustra-Begriffe und -Werte aufliste, sondern „vielleicht doch eine
Art vorläufiges Glossarium“, in dem diese Begriffe und Werte „irgendwo ein-
mal vorkommen und mit Namen genannt sind“. Das impliziert, dass alles Mög-
liche sonst in diesem Buch gleichfalls vorkommen kann, das sich eventuell im
Glossar-Sein nicht erschöpft. Viele Interpreten haben die Äußerungen N.s, die