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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0031
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Überblickskommentar 11

nach. Vielleicht bringt sie das zu wege, die Aufmerksamkeit auf jenes Buch
zu lenken“ (KSB 8/KGB III/5, Nr. 877, S. 111, Z. 4-7). Sein Schaffen soll als ein
Kontinuum erscheinen - das ist die leitende Absicht, die hinter N.s anhalten-
den Verknüpfungsversuchen steht. Ohnehin scheint N. kaum eines seiner
Buchprojekte als abgeschlossen empfunden zu haben; ständig dachte er über
neue Teile, Bände, Ergänzungen und erläuternde Vorworte nach, so dass viele
seiner Werke zunächst als Fortsetzungen oder Erweiterungen von früher Publi-
ziertem ihren Anfang nahmen.
Aus N.s Selbstzeugnissen ist zunächst keine verlässliche Auskunft über die
Konzeption von JGB zu gewinnen. Aufschlussreicher sind da Äußerungen, die
die Genese der Schrift betreffen, namentlich im Brief an Heinrich Köselitz vom
20. 07.1886: „Die Schwierigkeit, die es dies Mal [sc. bei JGB] für mich hatte, zu
reden (noch mehr: den Ort zu finden, von wo aus ich reden konnte), näm-
lich unmittelbar nach dem ,Zarathustra4, werden Sie mir reichlich nachgefühlt
haben: aber jetzt, wo das Buch ziemlich deutlich vor mir steht, scheint es mir,
daß ich die Schwierigkeit ebenso schlau als tapfer überwunden habe. Um von
einem ,Ideal4 reden zu können, muß man eine Distanz und einen niedrige-
ren Ort schaffen: hier kam mir der früher vorbereitete Typus »freier Geist4 treff-
lich zu Hülfe.“ (KSB 7/KGB III/3, Nr. 724, S. 212, Z. 15-23) An den Verleger Ernst
Wilhelm Fritzsch schrieb N. am 07. 08.1886, das eben erschienene Buch JGB
sei „eine Art Einführung in die Hintergründe des Zarathustra“ (KSB 7/KGB III/
3, Nr. 730, S. 224, Z. 16 f.). Diese Äußerung deckt sich mit dem philologischen
Befund insofern, als die in JGB verarbeiteten Materialien tatsächlich zu einem
guten Teil aus der Za-Zeit stammen. Aber sie ist irreführend, insofern sie eine
teleologische Ausrichtung auf Za hin betreibt und JGB tendenziell depotenziert.
In der Kommunikationssituation, in der sich N. gegenüber Fritzsch befand, war
das allerdings wohlbegründet, wollte er diesen doch zu einer Neuausgabe von
Za bewegen. Hier wäre es erneut problematisch, die Äußerung als hermeneuti-
schen Schlüssel für JGB misszuverstehen und dessen Deutung einseitig auf Za
hin zu perspektivieren.
Als autoritative Auskünfte über die jeweiligen Werke sind N.s Selbstzeug-
nisse gegenüber Dritten generell unzuverlässig, da sie jeweils von spezifischen
Interessen geleitet wurden, die außerhalb des Interesses einer möglichst au-
thentischen Werkinterpretation lagen. Die „Fingerzeige“ helfen beim Bemü-
hen, N.s übergreifende Textverknüpfungs- und Textvermarktungsstrategien,
jedoch weniger seine einzelnen Texte zu verstehen. Sie belegen, dass N. gegen-
über seinen Kommunikationspartnern damit beschäftigt war, sich selbst neu
zu interpretieren - weil, so darf man vermuten, unter seinen Zeitgenossen sich
niemand die Mühe machte, ihn und seine Werke zu interpretieren, weil er auf
all seine Provokationen kaum eine ernstzunehmende Antwort bekam. Im Falle
 
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