Metadaten

Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0055
License: In Copyright
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Überblickskommentar 35

In Titel und Text von JGB schien sich schon für die zeitgenössischen Leser
die Grundtendenz von N.s Philosophie insgesamt zu verdichten. Belegt wird
dies etwa dadurch, dass sich 1891 einer der beiden von N. ins Lächerliche gezo-
genen „Löwen von Berlin“, „Vertreter der Philosophie, die heute Dank der
Mode ebenso oben-auf als unten-durch sind“, nämlich der „Amalgamist
Eduard von Hartmann“ (JGB 204, KSA 5, 131, 11-14) nach langem Schweigen
auf N.s wiederholte Ausfälligkeiten gegen ihn (namentlich in UB II HL) unter
dem Eindruck von JGB endlich zu einer Gegenpolemik herbeiließ (vgl. Weyem-
bergh 1977,162-186; Rahden 1984 u. Jensen 2006, 50-53). Unmittelbarer Anlass
war die zweite Auflage von JGB (Nietzsche 1891). Hartmanns Artikel erschien
zunächst in den Preußischen Jahrbüchern (Hartmann 1891), sodann erweitert
im Aufsatzsammelband Ethische Studien von 1898. Den Vorwurf, ein jugendver-
derbender und ephemerer Modephilosoph zu sein, gab Hartmann an N. zu-
rück - wohl umso lieber, als er eine Duplik N.s nicht mehr fürchten musste:
„Schon mehren sich die Zeichen, dass das Publikum es müde wird, den manie-
rierten Stil Nietzsches mit seinem ungesunden Pathos und seiner undeutsch
gezwungenen Stellung der Wörter im Satze sich noch länger von nachah-
mungsfertigen Feuilletonisten vorführen zu lassen. Die Moden wechseln eben
sehr rasch im Zeitalter des Dampfes und der Elektrizität, auch die litterari-
schen. Das wäre ja gleichgiltig, wenn nicht jede dieser schlechten Moden einen
bleibenden Beitrag zum beschleunigten Niedergang des deutschen Stiles liefer-
te. Die sachliche Verwüstung, die durch solche Irrlehren in den minder wider-
standsfähigen jugendlichen Köpfen angerichtet wird, pflegt ja im Laufe einiger
Jahre überwunden zu werden; aber jedenfalls sind doch diese verlorenen Jahre
zu bedauern, und manchmal prägen solche Jugendeindrücke auch dem ganzen
inneren /69/ Leben den Stempel der Zerrüttung auf. Deshalb scheint es mir
eine Pflicht gegen die deutsche Jugend, solche Zeitverirrungen nicht so zu ig-
norieren, wie sie es ihrem Gehalt nach verdienen, sondern ihnen die gleissen-
de, blendende Maske abzureissen, um sie in ihrer hässlichen Nacktheit bloss-
zustellen.“ (Hartmann 1898, 68 f.) N. verkörpere selbst den „Typus der deca-
dence“ (ebd., 67) und sei „weibisch geartet“ (ebd., 65); seine Schriften seien
entstanden „unter dem Druck eines schweren körperlichen Leidens“ (ebd.).
Hartmann unterscheidet bereits „drei Perioden“ in N.s Denken (ebd., 36): die
frühe unter dem Einfluss Schopenhauers, die rein skeptisch-negative mittlere
und schließlich die dritte, dem Anspruch nach positive, in der er den Willen
in den Vordergrund gerückt und sich damit Schopenhauer wieder angenähert
habe. „Eine philosophische Bedeutung könnte höchstens in seiner dritten Peri-
ode gesucht werden, als deren beide Hauptwerke ,Also sprach Zarathustra4 und
Jenseits von Gut und Böse4 zu bezeichnen sind.“ (Ebd., 37) Insgesamt aber
kommt Hartmann zum Schluss: „Dass Nietzsche für die Geschichte der Philoso-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften