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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0062
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42 Jenseits von Gut und Böse

Erkennende“. Dieser Spruch geht im Manuskript unmittelbar einer Vorstufe zu
JGB 152 voraus (vgl. NK 99, 17 f.), wird aber in JGB nicht verwendet.
Erstmals als Titelentwurf tauchte die Formel „Jenseits von gut und
b ö s e. ‘ Sentenzen-Buch“ zu Beginn einer Kurztextsammlung auf, die N.
schließlich für das Vierte Hauptstück von JGB ausbeuten sollte (NL 1882, KSA
10, 3[1], 53, 15 f. Die dort Z. 17-19 folgende, dem Duc de Nevers zugeschriebene
Sentenz lautet in der Quelle übrigens „II sait goüter la [statt: sa] vie / En pares-
seux sense qui pond sur ses plaisirs“. N. konnte sie etwa in Amedee Renees Les
nieces de Mazarin finden (Renee 1858,148). Gemeint ist Philippe Jules Francois
Mancini, Duc de Nevers). In KSA 10, 3[1], 53, 15 sind „gut“ und „böse“ offen-
sichtlich noch nicht substantivierte Adjektive. Fortan kommt die Formel bald
auch mit der Substativierung „Gut und Böse“ sowohl in Titelentwürfen ganzer
Bücher (z. B. NL 1884, KSA 11, 26[139], 184, 1; NL 1884, KSA 11, 26[467], 274, 13;
NL 1885/86, KSA 12, 1[82], 31, 15, entspricht KGW IX 2, N VII 2, 133, 2) als auch
einzelner Buchteile (z. B. NL 1882/83, KSA 10, 4[10], 112, 2; NL 1883, KSA 10,
16[83], 526, 26; NL 1884, KSA 11, 26[297], 229, 7 u. 26[298], 229, 23) wie in fortlau-
fenden Textzusammenhängen vor (z. B. NL 1882, KSA 10, 3 [3], 107, 20; NL 1882,
KSA 10, 4[122], 150, 4; FW Lieder des Prinzen Vogelfrei: Sils Maria, KSA 3, 649,
12; NL 1882/83, KSA 10, 6[2], 233, 18; NL 1883, KSA 10, 2O[3], 589, 19 f. unter
Bezug auf Spencer 1875, 2, 110; Za III Das andere Tanzlied 2, KSA 4, 284, 15;
NL 1884, KSA 11, 26[193], 199, lf.; Röllin 2012, 214, vgl. zu weiteren Belegstellen
KGW VII 4/1, 60, ferner auch Brusotti 1997, 503).
Die von N. geradezu inflationär verwendete und nach ihm popularisierte
Wendung ist grammatisch nicht unproblematisch, denn offensichtlich soll
„jenseits“ hier eine Präposition sein, die aber nach Grimm 1854-1971,10, 2311 f.
(der Band stammt aus dem Jahr 1877) den Genitiv („jenseits der berge“), allen-
falls den Dativ fordert („jenseits dem Busse“); Belege für die Präpositionen-
kombination „jenseits von“ gibt es dort nicht. Sonst findet man im Schrifttum
des 19. Jahrhunderts gelegentlich auch „jenseits von“, meist aber in Kombinati-
on mit geographischen Eigennamen („jenseits von Köln“) oder Personalprono-
mina („jenseits von dir“). Tatsächlich ist N.s eigentümliche Wendung erstens
dadurch zu erklären, dass ursprünglich gar keine Substantive, sondern Adjek-
tive mit „jenseits von“ korreliert wurden, die sich ohne substantivische Beglei-
tung nicht in den Genitiv setzen lassen, zweitens aber auch sachlich dadurch,
dass N. es offensichtlich bei der Unbestimmtheit von Gut(em) und Böse(m)
belassen und entsprechend auf den bestimmten Artikel sowie auf Artikel über-
haupt verzichten wollte. N. experimentiert zwar gelegentlich auch mit dem be-
stimmten Artikel, so beispielsweise in NL 1882/83, KSA 10, 4[38], 119, 6f.: „Ich
kenne alles Gute und alles Böse: ich kenne auch das was jenseits des Guten
und des Bösen ist.“ Aber die Vereindeutigung, die der bestimmte Artikel mit
 
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