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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0066
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46 Jenseits von Gut und Böse

tum „Philosophie“ vorkommt (GD benutzt die Verbalform: Götzen-Dämmerung
oder Wie man mit dem Hammer philosophirt).
Mit der Kennzeichnung von JGB als „Vorspiel“ wird in erster Linie der vor-
bereitende, eben präludierende Charakter des Werkes herausgestrichen, das -
wie Richard Wagners Rheingold als „Vorabend zu dem Bühnenfestspiel Der
Ring des Nibelungen“ (Wagner 1871-1873, 5, 257) - schon die wesentlichen The-
men und Konflikte des Kommenden exponiert. Etabliert hatte sich der Begriff
„Vorspiel“ bereits im 16. Jahrhundert im Bereich der Musik, später im Theater
und strahlte von da in diverse Bereiche des Lebens, der Literatur und der Ge-
schichtsschreibung aus (vgl. Grimm 1854-1971, 26, 1610-1618). Die heutigen
Lesern geläufige sexuelle Konnotation des Wortes lässt sich bei N. nicht bele-
gen; auch im Sinne von „Vorgeben“, „Simulieren“ scheint der verbale Ge-
brauch in NL 1885, KSA 11, 40[50], 653 kaum verstanden werden zu können
(hier korrigiert nach dem Faksimile von KGW IX 4, W I 7, 49: „nur vorläufig
und versucherisch, nur vorbereitend und vorfragend, nur ,vorspielend4 im Ver-
gleiche zu einem Ernste, zu dem es eingeweihter und auserlesener Ohren be-
darf“): Vorspiel ist bei N.s Titelwahl präparatorisch und prospektiv gemeint
(vgl. auch Dellinger 2013b, 167).
Die Losung einer „Philosophie der Zukunft“ hat N. keineswegs als erster
ausgegeben; sie findet sich im 19. Jahrhundert sowohl auf der rechten als auch
auf der linken Seite des politisch-philosophischen Spektrums: Einerseits galt
Franz von Baader seinem Herausgeber Franz Hoffmann (den N. als ausführ-
lichsten und nachdenklichsten Rezensenten seiner Ersten unzeitgemässen Be-
trachtung rühmte, vgl. NK KSA 6, 318, 2-9) schon auf dem Titelblatt eines Bu-
ches als „Begründer der Philosophie der Zukunft“ (Hoffmann 1856). Anderer-
seits verband Ludwig Feuerbach (1843a) in seinen Grundsätzen der Philosophie
der Zukunft die Kritik an der christlichen Theologie als einer verkappten An-
thropologie mit dem Nachweis der durchgängigen theologischen Kontaminati-
on von Hegels Absolutheitsdenken. N. war Feuerbachs Buchtitel geläufig - und
es könnte in NL 1886/87, KSA 12, 7[4], 261, 20-22 sogar der Eindruck entstehen,
N. habe dieses Werk selbst gelesen. Tatsächlich jedoch handelt es sich bei die-
sem Notat um ein Exzerpt aus dem Spinoza-Band von Kuno Fischers Geschichte
der neuern Philosophie (Fischer 1865, 2, 561, vgl. den genauen Nachweis in NK
KSA 6, 431, 8). N. eignete sich also ein zu seiner Zeit bereits populäres Schlag-
wort an, bei dem bewusst offen bleibt, ob es um eine Philosophie für die Zu-
kunft oder um eine erst in der Zukunft zu schaffende Philosophie zu tun ist.
„It can also well be a philosophy that concerns thefuture.“ (Nehamas 1988, 58)
Bereits früh wurde N. selber als „Philosoph der Zukunft“ wahrgenommen, so
1887 im Roman Phrasen von Hermann Conradi, der im Leizpiger Studentenmi-
lieu spielt: „Im Namen des Geistes werden wir die Anerkennung unserer Ideale
 
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