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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0072
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52 Jenseits von Gut und Böse

seinen eigenen Bedürfnissen anzupassen (vgl. zu N.s Verfahren Sommer 2000b).
Es widerspräche mithin N.s typischem Rezeptionsverhalten, wenn er etwas -
z. B. Spirs Gebrauch des Wortes „Dogmatiker“ - schlicht übernähme (so dass
man sogar eher aus der Differenz von N.s und Spirs Wortgebrauch ein Argument
zugunsten einer entsprechenden Rezeption ableiten könnte).
Es empfiehlt sich also, den Einfluss Kants und der Kantianer (inklusive
Spirs) auf die Profilierung der „Dogmatiker“ in der Vorrede von JGB nicht zu
überschätzen und bei der Interpretation den Text nicht unter angeblichen Kan-
tischen oder kantianischen Hypotexten zu ersticken. Der Dogmatiker im Vor-
wort von JGB, der gerade nicht explizit mit dem Metaphysiker identifiziert wird,
hat ein wesentlich breiteres Spektrum (vgl. z. B. auch Tongeren 2000, 133 f.),
als dies dem kantianischen Kritiker des Dogmatikers lieb sein kann, der dessen
Überschreitung der Wissbarkeitsgrenzen anprangert. Der Dogmatiker, so
schwach, unfruchtbar und hinfällig seine Position zu Beginn von JGB Vorrede
zunächst erscheint, erweist sich im Fortgang des Textes als eine kultur- und
moralprägende Instanz erster Ordnung. Ihn treiben ganz andere Probleme um
als bloße Fragen des Erkennen-Könnens von Gegenständen jenseits der Erfah-
rungswelt.
11, 8-12 Gewiss ist, dass sie sich nicht hat einnehmen lassen: — und jede Art
Dogmatik steht heute mit betrübter und muthloser Haltung da. Wenn sie über-
haupt noch steht! Denn es giebt Spötter, welche behaupten, sie sei gefallen, alle
Dogmatik liege zu Boden, mehr noch, alle Dogmatik liege in den letzten Zügen.]
Man mag geneigt sein, der Bemerkung über die mangelnde Standfestigkeit der
Dogmatik auch eine sexuelle Konnotation beizulegen. Immerhin hat sich Kant
selbst in seinen Nachlass-Reflexionen den „Spötter“ als „Zuchtmeister“ der
philosophischen Dogmatiker gewünscht: „Dogmatische transscendente Lehre
ist Vernünfteley, nemlich die ihre Schranken überschreitende Vernunft. Der
Zuchtmeister der Vernünftler ist der Sittenlehrer oder gar der Spötter.“ (AA
XVIII, 29 f., in orthographisch geglätteter Form publiziert in Kant 1884, 2, 59,
Nr. 201).
11,16-12, 3 die Zeit ist vielleicht sehr nahe, wo man wieder und wieder begreifen
wird, was eigentlich schon ausgereicht hat, um den Grundstein zu solchen erha-
benen und unbedingten Philosophen-Bauwerken abzugeben, welche die Dogma-
tiker bisher aufbauten, — irgend ein Volks-Aberglaube aus unvordenklicher Zeit
(wie der Seelen-Aberglaube, der als Subjekt- und Ich-Aberglaube auch heute
noch nicht aufgehört hat, Unfug zu stiften), irgend ein Wortspiel vielleicht, eine
Verführung von Seiten der Grammatik her oder eine verwegene Verallgemeine-
rung von sehr engen, sehr persönlichen, sehr menschlich-allzumenschlichen That-
sachen] Es fällt der Bruch in der Metaphorik auf: Zunächst war von „Dogmati-
 
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