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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0074
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54 Jenseits von Gut und Böse

scheinbaren und die wirklichen Ursachen des Geschehens in der Welt hat N. bei-
spielsweise seinen ehemaligen Bonner Philosophie-Professor Karl Schaar-
schmidt wie folgt zitiert gefunden: „Das Ich ist Sache (Wesen, Wirklichkeit,
Seiendes, Substanz) weil es Ursache ist. Das Ich ist mehr und thut mehr, als
ein cogito ergo sum ausdrückt; es weiss sich als res cogitans et movens“
(Drossbach 1884, 15. N.s Unterstreichung. Vgl. Loukidelis 2005b, 342 u. NK 30,
19-22).
Dass die „Grammatik“ es sei, die uns täusche, insbesondere über den Be-
griff des Ich, und uns eine Ontologie unterjuble, ist ein Gedanke, der in N.s
Spätwerk wiederkehrt (NK KSA 6, 78,11-13, zur systematischen Dimension z. B.
Simon 1972). N. war ihm beispielsweise in Otto Schmitz-Dumonts Die Einheit
der Naturkräfte (Schmitz-Dumont 1881, 167, siehe NK 30, 2-10) und bei Georg
Christoph Lichtenberg begegnet: „Ich und mich. Ich fühle mich — sind
zwei Gegenstände. Unsere falsche Philosophie ist der ganzen Sprache einver-
leibt; wir können so zu sagen nicht raisonniren, ohne falsch zu raisonniren.
Man bedenkt nicht, daß Sprechen, ohne Rücksicht von was, eine Philosophie
ist. Jeder, der Deutsch spricht, ist ein Volksphilosoph, und unsere Universitäts-
philosophie besteht in Einschränkungen von jener. Unsere ganze Philosophie
ist Berichtigung des Sprachgebrauchs, also, die Berichtigung einer Philoso-
phie, und zwar der allgemeinsten. Allein die gemeine Philosophie hat den Vor-
theil, daß sie im Besitz der Declinationen und Conjugationen ist. Es wird also
immer von uns wahre Philosophie mit der Sprache der falschen gelehrt. Wörter
erklären hilft nichts; denn mit Wörtererklärungen ändere ich ja die Pronomina
und ihre Declination noch nicht.“ (Lichtenberg 1867,1, 79. N.s Unterstreichung,
vgl. Stingelin 1996,175 f., ferner allgemeiner Beutel 1996, 254-256.) Lichtenberg
diagnostiziert also, wie es auch in N.s Text geschieht, eine sprachliche Präjudi-
zierung des Denkens, das deshalb in die Irre gehe, bietet aber zugleich eine
(andere) Philosophie als Therapeutikum auf. In analoger Weise wird in JGB
einerseits die Philosophie in ihren herkömmlichen Erscheinungsformen ver-
dammt, zugleich jedoch eine „Philosophie der Zukunft“ angekündigt oder an-
satzweise ins Werk gesetzt. Diese therapeutische und zukünftige Philosophie
bleibt in dem Dilemma stecken, sich der alten Sprache mit ihren ,Verhexungen4
bedienen zu müssen, so dass N. unentwegt genötigt ist, die von einem Philoso-
phen erwarteten und zu erwartenden Schreibpraktiken experimentell zu unter-
laufen.
In JGB 20 wird daran erinnert, dass wir von einer „gemeinsamen Philoso-
phie der Grammatik“ (KSA 5, 34, 27) gefangen zu werden drohen, während sich
am Ende von JGB 34 im Sinne von Lichtenbergs Berichtigungsprojekt die Frage
erhebt, ob „sich der Philosoph nicht über die Gläubigkeit an die Grammatik
erheben“ (KSA 5, 54, 8f.) müsse, während JGB 54 wie Lichtenberg die Gramma-
 
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