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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0102
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82 Jenseits von Gut und Böse

später noch JGB 2 angenähert wurde, siehe Heller 1972a). JGB 2 postuliert
gleichfalls als Wesenszug der Metaphysiker die Weigerung, das Entstehen-Kön-
nen von etwas „aus seinem Gegensatz“ (KSA 5, 16, 2) für möglich zu halten.
Auch hier liegt der Fokus auf den Wert-Gegensätzen, die MA I 1 am Beispiel
des Unegoistischen in der Ethik und des Interesselosen in der Ästhetik illus-
triert hat: Der Metaphysiker glaube „an die Gegensätze der Werthe“
(16, 20). Nun aber bescheidet sich JGB 2 nicht mit einer „historischen Philoso-
phie“ als Alternative zur Metaphysik, sondern visioniert „Philosophen des ge-
fährlichen Vielleicht“ (17, 10), die „heraufkommen“ (17, 12) werden. Während
die „historische Philosophie“ als chemisch-analytische Disziplin noch den An-
spruch gehabt zu haben scheint, objektiv die faktische Zusammensetzung des
scheinbar Edlen aus Unedlem zu eruieren, weichen die „neuen Philosophen“
(17, 11) in den Konjunktiv aus. Sie sind keine Gelehrten oder philosophischen
Arbeiter mehr (vgl. JGB 6), die dem forschenden Tagwerk der Entlarvung histo-
risch-akribisch nachgehen, sondern sie werden als Experimentatoren verstan-
den, deren „Vielleichts“ den abendländischen Moralhaushalt viel wirkungsvol-
ler zu destabilisieren versprechen als die innerhalb der Grenzen reiner Wissen-
schaft bleibenden, historischen Philosophen. All das, was JGB 2 zur möglichen
Gründung des Wahren im Unwahren, des Selbstlosen im Eigennutz vorträgt,
wird hypothetisch im Konjunktiv II formuliert - nicht als Tatsachenbehaup-
tung, sondern als Experiment angewandter Verunsicherung. JGB 2 macht den
Verdacht unabweisbar: Die „Philosophen des gefährlichen Vielleicht“ sind viel-
leicht schon da; JGB 2 zeigt sie vielleicht bereits in actu. MA 11 gab demgegen-
über zahmer gleich zu Beginn ein Exempel in „historischer Philosophie“, näm-
lich durch den Hinweis, dass die philosophischen Probleme „fast in allen Stü-
cken dieselbe Form der Frage“ annähmen „wie vor zweitausend Jahren“ (KSA
2, 23, 6-8): Schon die Vorsokratiker, namentlich die milesischen Naturphiloso-
phen, die Pythagoreer (Aristoteles: Metaphysik 986b2) und vor allem Heraklit
(Diels/Kranz 1951, 22 B 10 u. B 88, vgl. auch Heller 1972a, 214-217) haben sich
der Auffassung angenähert, alles entstehe aus seinem Gegensatz.
Zur wahrheitsgeschichtlichen Interpretation von JGB 2 siehe auch Fleischer
1984, 140-142; zur experimentalphilosophischen Pointe von MA I 1 Schwab
2011, 607.
16, 2 Wie könnte Etwas aus seinem Gegensatz entstehn?] Die Frage der Ent-
stehung von etwas aus seinem Gegensatz ist nicht nur in der vorsokratischen
Philosophie präsent, sondern wird auch bei Platon (Phaidon 69e-72e) und bei
Aristoteles (Metaphysik X 4 - Aristoteles 1860, 282-286) diskutiert. Das Hervor-
gehenkönnen aus seinem Gegensatz impliziert in der klassischen Metaphysik
allerdings, dass es sich nicht um kontradiktorische, sondern nur um konträre
Widersprüche handelt (dazu ausführlich Spir 1877, 1, 167-171, zur Gegensatz-
 
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