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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0111
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Stellenkommentar JGB 3, KSA 5, S. 17-18 91

17, 31-18, 3) sich noch in Erläuterungen verlor. Die Unbestimmtheit rührt daher,
dass verschleiert wird, was denn an die Stelle des Menschen treten könnte,
wenn „nicht gerade“ er das ,„Maass der Dinge“4 sei. Nach dem Vorangegange-
nen muss man schließen, dass der Satz des Protagoras hier so verstanden wer-
den soll, dass die dem Menschen gemeinhin zugesprochene Vernunft-Natur
eben nicht das Maß aller Dinge sein könne, weil das „bewusste Denken“ (17,
23) nichts weiter als ein Oberflächenphänomen darstellt. Das elliptische Ende
von JGB 3 setzt den Inhalt der Kritik von 17, 28 f. performativ um, wonach die
menschliche Logik eine Wertpräferenz für das „Bestimmte“ statt für das „Un-
bestimmte“ habe: Der grammatisch unvollständige Schlusssatz rehabilitiert
das Unbestimmte, indem er es aus den Eindeutigkeitsschemata herausbricht,
die verlangen, dass die Verneinung eines Bestimmten (hier des homo-mensura-
Satzes) mit der Bejahung eines anderen Bestimmten (dass z. B. das Tier im
Menschen Maß sein solle) zu kompensieren sei. Gerade auf ein solches explizi-
tes Bestimmtes, ein neues Maß verzichtet 18, 1-3. Entsprechend eignet sich der
letzte Satz des Abschnitts auch nicht - wie Clark/Dudrick 2012, 54 f. es gerne
hätten - als Beleg für eine esoterische Lehre N.s.
Andererseits stellt der Rückgriff auf den Satz des Protagoras einen intertex-
tuellen Bezug zu N.s früheren Schriften, und dabei namentlich zum zweiten
Aphorismus von Menschliches, Allzumenschliches her. Eine Zeit lang hat N. das
im Entstehen begriffene Manuskript von JGB ja als Fortsetzung dieses Werkes
konzipiert. Dort hieß es von den unhistorisch denkenden „Philosophen“: „Un-
willkürlich schwebt ihnen ,der Mensch4 als eine aeterna veritas, als ein Gleich-
bleibendes in allem Strudel, als ein sicheres Maass der Dinge vor. Alles, was
der Philosoph über den Menschen aussagt, ist aber im Grunde nicht mehr, als
ein Zeugniss über den Menschen eines sehr beschränkten Zeitraumes.“
(MA I 2, KSA 2, 24, 19-24) Hier liegt der Akzent auf der Historizität des angeb-
lich konstanten menschlichen Wesens - verbunden mit der Provokation,
,,[a]lle Philosophen“ (KSA 2, 24, 16 f.) unter dem doch schon von Platon als
skandalös empfundenen homo-mensura-Satz zu subsumieren. Dagegen löst
JGB 3 das angebliche Vernunft-Wesen des Menschen in Fragen auf. Aphoris-
mus 346 aus dem 1887 erschienenen Fünften Buch der Fröhlichen Wissenschaft
steigert die Opposition gegen die sophistische Weisheit zu unverhohlener Em-
pörung: „der Mensch als Werthmaass der Dinge, als Welten-Richter, der zuletzt
das Dasein selbst auf seine Wagschalen legt und zu leicht befindet - die unge-
heuerliche Abgeschmacktheit dieser Attitüde ist uns als solche zum Bewusst-
sein gekommen und verleidet“ (FW 346, KSA 3, 580, 30-34). Hier steht die
pessimistische und nihilistische Wendung im Vordergrund, dass der Mensch,
sich zum Maßstab nehmend, die Welt, das Sein in globo glaubt verurteilen zu
können. Dass sich das „Wir“ in FW 346 gegen die Anmaßung der Menschen
 
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