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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0114
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94 Jenseits von Gut und Böse

In JGB 4 wird diese darwinistische Sicht anders als im Nachlass von 1883
keiner expliziten Kritik unterzogen; vielmehr scheint sie wenigstens vorläufig
approbiert, obschon N. andernorts im Anschluss an Rolph 1884 dezidiert nicht
die Erhaltung, sondern die Steigerung des Lebens als dessen Grundbewegung
ausmachen zu können meinte (vgl. z. B. NK 6/1, S. 448-453 u. Sommer 2010b).
Trotzdem bleibt JGB 4 nicht beim Arterhaltungsaspekt der falschen Urteile ste-
hen, sondern eröffnet den Ausblick auf eine Steigerung: Diese Urteile könnten
sogar der Züchtung einer neuen Art zu Gute kommen. Mit der Option der Züch-
tung spielte N. im Spätwerk gerne, siehe z. B. NK 6/2, S. 38-43.
18, 9 die falschesten Urtheile] In der Reinschrift stand ursprünglich: „falsches-
ten nämlich die ältesten Begriffe Urtheile“ (KSA 14, 348).
18,10 (zu denen die synthetischen Urtheile a priori gehören)] In beiden Vorstu-
fen NL 1885, KSA 11, 35[37], 526 f. (entspricht KGW IX 4, W I 3, 96) und Dns Mp
XVI, Bl. 35r (Röllin 2012, 210 f.) fehlt diese Klammerbemerkung, die ein Beispiel
dafür gibt, was denn zu den „falschesten Urtheile [n]“ (18, 9) zählt. N. beschäf-
tigte sich 1884/85 damit, warum denn Kant die Frage nach der Möglichkeit
synthetischer Urteile a priori überhaupt zur Frage gemacht habe - Überlegun-
gen, die dann in JGB 11 entfaltet werden, vgl. NK 24, 18 f. Nach dem N. seit
Studententagen geläufigen Grundriß der Geschichte der Philosophie von Fried-
rich Ueberweg ist es um das Grundgerüst von Kants theoretischer Philosophie
wie folgt bestellt: „Kant geht in seiner Vernunftkritik von einer zweifachen Un-
terscheidung der Urtheile ([...]) aus. Nach dem Verhältniss des Prädicates zum
Subjecte theilt er die Urtheile ein in analytische oder Erläuterungsurtheile,
deren Prädicat sich aus dem Subjectsbegriff durch blosse Zergliederung dessel-
ben entnehmen lasse [...] und synthetische oder Erweiterungsurtheile, de-
ren Prädicat nicht im Subjectsbegriffe liegt, sondern zu demselben hinzutritt
[...]. Nach dem Ursprung der Erkenntniss aber unterscheidet Kant Urtheile a
priori und Urtheile a posteriori; unter den Urtheilen a posteriori versteht
er Erfahrungsurtheile, unter Urtheilen a priori im absoluten Sinn solche, die
schlechthin von aller Erfahrung unabhängig seien [...]. Für Urtheile a priori
im absoluten Sinne hält Kant alle diejenigen, welche mit Nothwendigkeit und
strenger Allgemeinheit gelten, indem er von der (unerwiesenen, von ihm als
selbstverständlich angesehenen, sein ganzes Lehrgebäude bedingenden) Vo-
raussetzung ausgeht, Nothwendigkeit und strenge Allgemeinheit lasse sich
durch keine Combination von Erfahrungen, wohl aber unabhängig von aller
Erfahrung gewinnen. Alle analytischen Ur-/143/theile sind Urtheile a priori [...].
Die synthetischen Urtheile aber zerfallen in zwei Classen. Wird nämlich die
Synthesis des Prädicates mit dem Subjecte auf Grund der Erfahrung vollzogen,
so entstehen synthetische Urtheile a posteriori; wird sie ohne alle Erfahrung
 
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