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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0116
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96 Jenseits von Gut und Böse

chen Lage der Massen, als eine Folge verschiedener Positionen; dagegen als
eine Folge verschiedener Bewegungszustände (Geschwindigkeiten) dieser Mas-
sen an verschiedenen ausgedehnten Raumbereichen, wenn wir die Weltzustän-
de auf Zeiten (in Grenzen eingeschlossene Zeitausdehnungen) beziehen. Die
erstere Betrachtung kann man Momentanzustände, die zweite Weltzustände
überhaupt, besser Vorgänge nennen. / Jene Momentanzustände sind logische
Fiktionen, denen man jede Existenz als objektive Wirklichkeit absprechen
kann, denn sie sind gar nicht wahrnehmbar; wahrnehmbar ist nur das Ausge-
dehnte sowohl /343/ der Zeit wie dem Raume nach. Ebensowenig lässt sich
auch das Weltganze in eine Vielheit von Momentanzuständen zerlegen, denn
dies wäre Summirung des Weltgeschehens aus einer Vielheit von Nullen des
Geschehens. Die Logik bildet aber jene Momentanzustände als Durchgangsstu-
fen, oder als Grenzen, um die Betrachtung eines Vorgangs zu fixiren, aus dem
Weltganzen abzugrenzen.“ (Schmitz-Dumont 1878, 342 f.) Bei Schmitz-Dumont
werden die „logischen Fiktionen“ nicht denunziatorisch-abwertend ins Spiel
gebracht, sondern als für die kognitive Weltrezeption unerlässliche Vorausset-
zungen.
Unter dem Eindruck einschlägiger Lektüren verstärkte sich 1885 sichtlich
N.s Interesse am Welt- und Lebensbezug der Logik. Greifbar ist dies beispiels-
weise in NL 1885, KSA 11, 38[2], 597, 1-27: „Das logische Denken, von dem die
Logik redet, ein Denken, wo der Gedanke selbst als Ursache von neuen Ge-
danken gesetzt wird —, ist das Muster einer vollständigen Fiktion: ein Den-
ken der Art kommt in Wirklichkeit niemals vor, es wird aber als
Formen-Schema und Filtrir-Apparat angelegt, mit Hülfe dessen wir das that-
sächliche, äußerst vielfache Geschehen beim Denken verdünnen und vereinfa-
chen: so daß dergestalt unser Denken in Zeichen faßbar, merkbar, mittheilbar
wird. [...] Die arithmetischen Formeln sind ebenfalls nur regulative Fiktionen,
mit denen wir uns das wirkliche Geschehen, zum Zweck praktischer Ausnüt-
zung, auf unser Maaß — auf unsre Dummheit — vereinfachen und zurechtle-
gen.“ NL 1885, KSA 11, 40[12], 633 (entspricht KGWIX 4, W17, 72) nennt Namen
und Werke, gegen die sich der Abgrenzungsversuch richtet, einerseits nämlich
Gustav Teichmüllers Die wirkliche und die scheinbare Welt (konkret Teichmüller
1882, 25; dazu auch Riccardi 2009, 171) sowie Afrikan Spirs Denken und Wirk-
lichkeit: „»Logische Gesetze bei Spir I p. 76 definirt als »allgemeine Principien
von Affirmationen über Gegenstände d. h. eine innere Nothwendigkeit, etwas
von Gegenständen zu glauben4. / Meine Grundvorstellungen: ,das Unbedingte4
ist eine regulative Fiction, der keine Existenz zugeschrieben werden darf, die
Existenz gehört nicht zu den nothwendigen Eigenschaften des Unbedingten.
Ebenso ,das Sein4, die »Substanz4 — alles Dinge, die nicht aus der Erfahrung
geschöpft sein sollten, aber thatsächlich durch eine irrthümliche Aus-
 
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