Stellenkommentar JGB 5, KSA 5, S. 18-19 99
2, 13 fehlt überhaupt der Hinweis auf die Wahrhaftigkeit. Nach dem Manu-
skriptbefund scheint N. dort ursprünglich sogar „Ehrlichkeit“ statt „Redlich-
keit“ zu schreiben begonnen zu haben.
Nach NL 1880, KSA 9, 6 [332], 281, 11 habe „noch niemand“ ,,[d]as Problem
der Wahrhaftigkeit“ „erfaßt“; in NL 1885, KSA 12,1[18], 14,21 (KGWIX 2, N VII2,
162, 20) gilt es als „ganz neu“. In NL 1884, KSA 11, 26[359], 244, 20-23 wird es
mit dem ,,Wille[n] zum Schein“ assoziiert, in NL 1885, KSA 11, 40[39], 649,1-16
(KGW IX 4, W17, 54, 4-28) zudem noch mit einem womöglich der Wissenschaft
eigenen ,,Wille[n] zum Tode“.
18, 29-19,1 als ob sie ihre eigentlichen Meinungen durch die Selbstentwicklung
einer kalten, reinen, göttlich unbekümmerten Dialektik entdeckt und erreicht hät-
ten] Dass die Dialektik, wie sie Sokrates ausweislich der Dialoge Platons entwi-
ckelt hat, kein neutrales Instrument der interesselosen Wahrheitsfindung dar-
stellt, sondern vielmehr das Mittel von Machtlosen, an die Macht zu kommen,
wird in GD Das Problem des Sokrates 5-8, KSA 6, 69-71 behauptet, vgl. NK 6/
1, S. 275-280.
19, 2 f. zum Unterschiede von den Mystikern jeden Rangs, die ehrlicher als sie
und tölpelhafter sind — diese reden von „Inspiration“ —] In M 550, KSA 3, 321,
4 wurde den „Mystikern“ die „Vision“ als höchstes Glück zugeschrieben, wo-
hingegen Platon und Aristoteles dieses Glück im Erkennen gefunden hätten.
Dass Mystiker bei ihren inneren Erlebnissen auf göttliche Eingebung - eben
Inspiration - Anspruch erheben, gehört nicht nur zu den religionshistorischen
Gemeinplätzen, sondern war sowohl seit jeher Gegenstand theologischer als
auch früh schon medizinischer Kritik: Während die Amtstheologie die Inspira-
tion entweder (protestantisch) auf die Bibel oder (katholisch) die Bibel und die
Kirche beschränkt wissen wollte, fanden die ersten Psychiater in der mysti-
schen Inspiration einen Beweis für psychische Deformationen. So wagte Jo-
hann Christian August Heinroth in seiner Geschichte und Kritik des Mysticismus
„Tausend gegen Eins zu wetten daß sich die Phantasie zu mystischen Vorstel-
lungen und Anspannungen entzündete, und nach und nach in immer steigen-
der Ausbildung alle die Erscheinungen zu Tage förderte, deren wir so eben als
dem Mysticismus ei-/526/genthümlich und ihn bezeichnend gedachten, und
daß demnach der Traum für Wachen, die Vision für Offenbarung, und die eige-
ne, unerkannte Neigung für göttliche Eingebung (Inspiration) gehalten wurde.
Wenn wir bedenken, welche große Aehnlichkeit, ja Verwandtschaft, die Visio-
nen mancher der berühmtesten Mystiker mit wirklichem Wahnsinn, und die
religiösen Ueberzeugungen Anderer der hier geschilderten ([...]) mit wirklicher
Verrücktheit an den Tag legen, so können wir keineswegs, keineswegs an dem
gemeinsamen Ursprünge beider Arten von Zuständen zweifeln“ (Heinroth
2, 13 fehlt überhaupt der Hinweis auf die Wahrhaftigkeit. Nach dem Manu-
skriptbefund scheint N. dort ursprünglich sogar „Ehrlichkeit“ statt „Redlich-
keit“ zu schreiben begonnen zu haben.
Nach NL 1880, KSA 9, 6 [332], 281, 11 habe „noch niemand“ ,,[d]as Problem
der Wahrhaftigkeit“ „erfaßt“; in NL 1885, KSA 12,1[18], 14,21 (KGWIX 2, N VII2,
162, 20) gilt es als „ganz neu“. In NL 1884, KSA 11, 26[359], 244, 20-23 wird es
mit dem ,,Wille[n] zum Schein“ assoziiert, in NL 1885, KSA 11, 40[39], 649,1-16
(KGW IX 4, W17, 54, 4-28) zudem noch mit einem womöglich der Wissenschaft
eigenen ,,Wille[n] zum Tode“.
18, 29-19,1 als ob sie ihre eigentlichen Meinungen durch die Selbstentwicklung
einer kalten, reinen, göttlich unbekümmerten Dialektik entdeckt und erreicht hät-
ten] Dass die Dialektik, wie sie Sokrates ausweislich der Dialoge Platons entwi-
ckelt hat, kein neutrales Instrument der interesselosen Wahrheitsfindung dar-
stellt, sondern vielmehr das Mittel von Machtlosen, an die Macht zu kommen,
wird in GD Das Problem des Sokrates 5-8, KSA 6, 69-71 behauptet, vgl. NK 6/
1, S. 275-280.
19, 2 f. zum Unterschiede von den Mystikern jeden Rangs, die ehrlicher als sie
und tölpelhafter sind — diese reden von „Inspiration“ —] In M 550, KSA 3, 321,
4 wurde den „Mystikern“ die „Vision“ als höchstes Glück zugeschrieben, wo-
hingegen Platon und Aristoteles dieses Glück im Erkennen gefunden hätten.
Dass Mystiker bei ihren inneren Erlebnissen auf göttliche Eingebung - eben
Inspiration - Anspruch erheben, gehört nicht nur zu den religionshistorischen
Gemeinplätzen, sondern war sowohl seit jeher Gegenstand theologischer als
auch früh schon medizinischer Kritik: Während die Amtstheologie die Inspira-
tion entweder (protestantisch) auf die Bibel oder (katholisch) die Bibel und die
Kirche beschränkt wissen wollte, fanden die ersten Psychiater in der mysti-
schen Inspiration einen Beweis für psychische Deformationen. So wagte Jo-
hann Christian August Heinroth in seiner Geschichte und Kritik des Mysticismus
„Tausend gegen Eins zu wetten daß sich die Phantasie zu mystischen Vorstel-
lungen und Anspannungen entzündete, und nach und nach in immer steigen-
der Ausbildung alle die Erscheinungen zu Tage förderte, deren wir so eben als
dem Mysticismus ei-/526/genthümlich und ihn bezeichnend gedachten, und
daß demnach der Traum für Wachen, die Vision für Offenbarung, und die eige-
ne, unerkannte Neigung für göttliche Eingebung (Inspiration) gehalten wurde.
Wenn wir bedenken, welche große Aehnlichkeit, ja Verwandtschaft, die Visio-
nen mancher der berühmtesten Mystiker mit wirklichem Wahnsinn, und die
religiösen Ueberzeugungen Anderer der hier geschilderten ([...]) mit wirklicher
Verrücktheit an den Tag legen, so können wir keineswegs, keineswegs an dem
gemeinsamen Ursprünge beider Arten von Zuständen zweifeln“ (Heinroth