Metadaten

Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0123
Lizenz: In Copyright
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Stellenkommentar JGB 6, KSA 5, S. 19 103

6.
Eine Vorarbeit zu diesem Abschnitt vom Sommer 1885 findet sich in den Louise
Röder-Wiederhold diktierten Texten (Dns Mp XVI, BL 31r - Röllin 2012, 212).
Eine weitere Version aus M III 4, 90 f. teilt KSA 14, 348 f. mit, die wohl in den
Sommer 1883 gehört: „Ich habe mich gewöhnt, die großen Philosophien als
ungewollte Selbstbekenntnisse ihrer Urheber anzusehen: und wie-
derum den moralischen Theil als den zeugekräftigen Keim der ganzen Philoso-
phie, so daß in gewissen Absichten aus dem moralischen Gebiete die Entste-
hung der entlegensten metaphysischen Sätze zu suchen ist. Ich glaube nicht
an einen Erkenntnißtrieb, sondern an Triebe, welche sich der Erkenntniß wie
eines Werkzeugs bedienen. Und wer die Triebe aufzählt, wird finden, daß sie
alle schon Philosophie getrieben haben und gerne als letzte Zwecke des Da-
seins sich behaupten möchten. - Bei den ,Gelehrten4 steht es anders: da ist
wirklich das Denken oft ein Maschinchen, welches arbeitet, ohne daß das ge-
samte Trieb-System des Manschen} dabei betheiligt sei - : die eigentlichen
Interessen liegen deshalb meistens wo anders, wie es bei allen Berufs-
Menschen der Fall ist: etwa in der Familie oder im Staate usw. oder im Geld-
erwerben. Der Zufall entscheidet, an welcher Stelle der Wissenschaft solche
Maschinen gestellt werden: ob ein guter Philolog oder Chemiker daraus wird -
es ist nicht bezeichnend für den Menschen. Dagegen sind die Philosophi-
en ganz und gar nichts Unpersönliches und die Moral zumal ist Per-
son, und zwar ein Zeugniß davon, welche Rangordnung der Triebe in
dem Philosophen besteht.“
N. hat das dann 1885/86 bearbeitete Problem allerdings schon 1882 be-
schäftigt, wie zum einen in Heft Z I 1 dokumentiert ist (das wiederum für das
Vierte Hauptstück von JGB ausgebeutet wird), zum anderen in einem Brief an
Lou von Salome. Im Heft Z I 1 heißt es: „Philosophische Systeme sind eine
unverschämte Form, von sich zu reden die bescheidenste Form, in der Jemand
von sich selber reden kann - eine äußerst undeutliche und stammelnde Form
von Memoiren.“ (NL 1882, KSA 10, 3[1]79, 62, 23-25 u. Emendation nach KGW
VII 4/1, 66) Der Brief an Lou von Salome, vermutlich vom 16. 09.1882, zeigt,
dass N. zumal nach dem gemeinsam mit der Empfängerin in Tautenburg ver-
brachten Sommer keine exklusive geistige Urheberschaft an dem in 3 [1]79 (und
JGB 6) skizzierten Modell anmelden konnte: „Meine liebe Lou, Ihr Gedanke
einer Reduktion der philosophischen Systeme auf Personal-Acten ihrer Urhe-
ber ist recht ein Gedanke aus dem ,Geschwistergehirn4: ich selber habe in Basel
in diesem Sinne Geschichte der alten Philosophie erzählt und sagte gern
meinen Zuhörern: ,dies System ist widerlegt und todt — aber die Person da-
hinter ist unwiderlegbar, die Person ist gar nicht todt zu machen4 — zum Bei-
spiel Plato.“ (KSB 6/KGB III/l, Nr. 305, S. 259, Z. 2-8) Leider ist Salomes Brief
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften