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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0129
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Stellenkommentar JGB 7, KSA 5, S. 20-21 109

schwächtes Persönliches: „Es war ein falscher Weg, das Unpersönliche zu be-
tonen und das Sehen aus dem Auge des Nächsten als moralisch zu bezeich-
nen.“ (KSA 9, 466, 6-8) Auch in dieser Aufzeichnung werden, wie in JGB 6,
die „Philosophen“ als tyrannische Naturen, die von ihrer Persönlichkeit weder
ablassen wollen noch können, den auf Unpersönlichkeit bedachten Wissen-
schaftlern gegenübergestellt. Namentlich im französischen Positivismus wurde
dem Interesse am Unpersönlichen großer sittlicher Wert eingeräumt, so dass
die Vermutung naheliegt, diese Parteinahme für das Persönliche - und mithin
für das Individuelle gegen das angeblich höherwertige Allgemeine - sei gegen
Äußerungen wie die folgende gerichtet: „c’est aujourd’hui l’impersonnel qui
fait essentiellement la grandeur et la moralite de nos actes, et surtout des actes
sociaux“ (Littre 1876b, 366 - „es ist heute das Unpersönliche, das wesentlich
die Größe und Moralität unserer Handlungen ausmacht, vor allem unserer sozi-
alen Handlungen“). In Gustave Flauberts Briefen an George Sand hat sich N.
eine Passage am Rand markiert, die beginnt: „Je crois que le grand art est
scientifique et impersonnel“ (Flaubert 1884, 41. „Ich glaube, dass die große
Kunst wissenschaftlich und unpersönlich ist“), während er in Ximenes Dou-
dans Briefen eine Polemik gegen Victor Cousins „raison impersonelle“ gelesen
haben mag (Doudan 1878, 2, 268). Eine ausführliche Diskussion des Begriffs
der „unpersönlichen Pflicht“ („devoir impersonnel“), den AC 11 (vgl. NK
KSA 6,177,19-21) in entlarvender Absicht verwendet, konnte N. schließlich bei
Guyau 1885, 26-34 finden. Vgl. zum „Unpersönlichen“ auch NK KSA 6, 121,
16-23.

7.
Eine frühere Fassung von JGB 7 findet sich in KGW IX 5, W I 8, 153, 10-30
(mitgeteilt in NK 235,13-22). In dieser Fassung fehlt noch die Charakterisierung
Epikurs als „Gartengott“ (KSA 5, 21, 17).
21, 2-12 Wie boshaft Philosophen sein können! Ich kenne nichts Giftigeres als
den Scherz, den sich Epicur gegen Plato und die Platoniker erlaubte: er nannte
sie Dionysiokolakes. Das bedeutet dem Wortlaute nach und im Vordergründe
„Schmeichler des Dionysios“, also Tyrannen-Zubehör und Speichellecker; zu alle-
dem will es aber noch sagen „das sind Alles Schauspieler, daran ist nichts
Achtes“ (denn Dionysokolax war eine populäre Bezeichnung des Schauspielers).
Und das Letztere ist eigentlich die Bosheit, welche Epicur gegen Plato abschoss:
ihn verdross die grossartige Manier, das Sich-in-Scene-Setzen, worauf sich Plato
sammt seinen Schülern verstand\ Die Quelle ist eine Passage aus Diogenes Laer-
tius’ De vitis (X 8), die in der in N.s Bibliothek erhaltenen, deutschen Überset-
 
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