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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0131
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Stellenkommentar JGB 7, KSA 5, S. 21 111

,,Maskenhafte[n]“, „Rhetorische[n]“ (Bertino 2007, 104) - nicht zuletzt durch
die Behauptung, die Lebewesen seien Marionetten in einem göttlichen Schau-
spiel (Platon: Nomoi 644d-645a). Die Abscheu vor dem Schauspielerischen
wird in N.s Werken mit großer dramatischer Gebärde öfter kundgetan, so in
JGB 25.
Aus JGB 7 hat sich Thomas Mann 1894/95 in einem Notizbuch exzerpiert:
„Dionysokolax (Plur.: lakes) / »Schmeichler des Dionysos4 war bei den Griechen
eine populäre Bezeichnung des Schauspielers“ (Mann 1991, 33).
21, 12-17 worauf sich Epicur nicht verstand! er, der alte Schulmeister von Sa-
mos, der in seinem Gärtchen zu Athen versteckt sass und dreihundert Bücher
schrieb, wer weiss? vielleicht aus Wuth und Ehrgeiz gegen Plato? — Es brauchte
hundert Jahre, bis Griechenland dahinter kam, wer dieser Gartengott Epicur ge-
wesen war. — Kam es dahinter? —] Es sind also im Sinne von JGB 6 sehr persön-
liche Motive, die sich hinter Epikurs Bosheit gegenüber Platon und den Plato-
nikern verborgen haben. „Wuth und Ehrgeiz“ stehen zur Diskussion, zwei Af-
fekte, an denen sich die epikureische Bereitschaft demonstrieren lässt, im
Unterschied zu den Stoikern den Nutzen gemäßigter Affekte anzuerkennen (so
die opyq, Zorn oder Wut, in De ira des Epikureers Philodemos, während Epikur
nach Plutarch: De tranquillitate animi 465F denjenigen das Ausleben ihres Ehr-
geizes gestatten wollte, die ein erzwungener Verzicht darauf gänzlich um ihre
Ruhe brächte. Plutarch 1835,1444 f., Anstreichung N.s[?]). Dennoch laufen die-
se beiden Affekte einer konsequenten Ethik der Leidensvermeidung zuwider
(vgl. Clark/Dudrick 2012, 145 f.) und zeigen, wie sehr selbst bei Epikur ein er-
kenntnisferner Trieb die Oberhand gewinnen kann. Als „Schulmeister“, der in
seinem „Gärtchen“ sitzt, 300 Bücher (Schriftrollen) verfasst (Diogenes Laertius:
De vitis X 26), fehlen dem Philosophen die Attribute der Größe, der schöpferi-
schen Kraft. Vgl. Bertino 2004, 104 u. Ebersbach 2001, ferner zur Opposition
von Epikur und Platon in JGB 7 aus der Sicht von Leo Strauss Lampert 1996,
121; zu den späten, durchaus positiven Urteilen über Epikur in AC 30 u. AC 58
siehe NK 6/2, S. 159 f. u. 285-287, ferner Shearin 2014.
Dass Epikur als „Gartengott“ figuriert, ist freilich nicht nur ein Hinweis auf
seine beschränkte Reichweite und Handlungsmacht - in UB I DS 9 firmiert
David Friedrich Strauß als „unser epikureischer Garten-Gott“ (KSA 1,216, 6f.) -,
sondern auch eine Anspielung auf Priapos, über den sich die gebildeten Leser
des 19. Jahrhunderts in den erotischen Carmina Priapea aufzuklären pflegten,
und der in der griechischen Mythologie als „Gartengott“ galt: „Er erscheint als
ein Dämon aller üppigen Fruchtbarkeit in der Natur [...]. Allmählich wurde er
alsdann zum Gotte der sinnlichen Lust. [...] Geopfert wurden ihm Esel [...]. In
statuarischen Darstellungen [...] hat [er] übermäßig großen Phallos und trägt
im Schoß Früchte. Man pflegte hermenartige Bildsäulen desselben aus Holz
 
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