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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0145
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Stellenkommentar JGB 10, KSA 5, S. 23 125

tivenunabhängig werden kann. Der Leib bleibt dann letzter Probierstein des
notwendig perspektivischen Erkennens.
23, 21-27 wer weiss, ob sie nicht im Grunde Etwas zurückerobern wollen, das
man ehemals noch sicherer besessen hat, irgend Etwas vom alten Grundbesitz
des Glaubens von Ehedem, vielleicht „die unsterbliche Seele“, vielleicht „den al-
ten Gott“, kurz, Ideen, auf welchen sich besser, nämlich kräftiger und heiterer
leben liess als auf den „modernen Ideen“?] Besonders deutlich wird dieses
Trachten nach einer „unsterblichen Seele“, verbunden mit der Abweisung des
Perspektivismus und der Leiborientierung sowie mit einer Rückkehr zum
christlichen Gott und zur „Überzeugung“ (vgl. JGB 8) in Teichmüllers Die wirk-
liche und die scheinbare Welt: „Nur das Christenthum verliess den Pfad
der perspectivischen Weltbetrachtung und rief uns zum Wachen, indem es die
Person, das Ich zur Geltung brachte, und desshalb historisch und nicht
mythologisch verfuhr. Das Christenthum offenbarte einen wirklichen, d. h. ei-
nen persönlichen Gott, nicht eine Idee gleich Nichts; es wandte sich an den
Menschen, als die Zeit erfüllt war, d. h. in historisch und wirklich geordneter
Reihe der Thätigkeiten und des Geschehens; es forderte von dem Menschen
das Herz und die Ueberzeugung (tucttk;) und erkannte ihn damit als ein selb-
ständiges Wesen an. Das einzelne Ich war nicht mehr eine flüchtige, werthlose
Erscheinung, sondern ein unsterbliches und historisch eingeordnetes Glied der
wirklichen ganzen Welt. Das Christenthum stellte sich auch nicht hin in die
Welt, indem es den ersten Anfang der Dinge und das letzte Ende mit brahmani-
schem, buddhistischem, osirischem und Platonischem Nebel verdeckte und die
Kantische Unendlichkeit oder die »schlechte Unendlichkeit4 Hegels als Vorhang
und Ausrede benutzte, sondern es zerriss diesen illusorischen Vorhang, zeigte
den Schein der verweslichen Hülle des Leibes, zog das unverwesliche persönli-
che Ich daraus hervor und schloss das Ganze der wirklichen Welt mit der erha-
bensten Kühnheit in die feste historische Ordnung der Vorsehung ein, welche
den Faden vom Anfang bis zum Ende in der Hand behält.“ (Teichmüller 1882,
348, vgl. NK 12, 18-23). Zu den „modernen Ideen“ siehe NK 23, U-73.
23, 27-29 Es ist Misstrauen gegen diese modernen Ideen darin, es ist Un-
glauben an alles Das, was gestern und heute gebaut worden ist] Der Rückgriff
auf die alten Begriffe der Metaphysik wird von einem starken Antimodernismus
begleitet. Den „modernen Ideen“, die 23, 26 f. in Anführungszeichen setzt, hat
N. schon 1873 in seiner Polemik gegen David Friedrich Strauß’ Bekenntnis-
schrift Der alte und der neue Glaube als „Katechismus ,der modernen Ideen4“
eine geharnischte Absage erteilt (UB I DS 3, KSA 1, 175, 24, vgl. UB I DS 6,
KSA 1, 190). Einige Jahre verschwanden die „modernen Ideen“ bei N. dann in
der Versenkung, um sich von NL 1885 (KSA 11, 36[47], 570, 14 = KGW IX 4, W
 
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