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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0147
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Stellenkommentar JGB 10, KSA 5, S. 23 127

1869-1886, 9,1-141). Moritz Schlick behauptete in seiner N.-Vorlesung, das Ers-
te Hauptstück von JGB sei „vom Standpunkt des Positivismus“ aus geschrieben
und bekräftigte: „Dem widerspricht nicht, dass N an vielen Stellen der Schrift
tadelnd von den positivist[ischen] Philosophen redet“ (Schlick 2013, 309). Zum
Positivismus siehe z. B. auch NK KSA 6, 80, 19-24.
23, 33-24, 1 Jahrmarkts-Buntheit und Lappenhaftigkeit aller dieser Wirklich-
keits-Philosophaster, an denen nichts neu und ächt ist als diese Buntheit] Nach
KSA 14, 349 soll die Wendung „Wirklichkeits-Philosophaster“ eine „Anspielung
auf Eugen Dühring“ sein, ohne dass dies freilich belegt würde (vgl. auch
Schmidt 1988, 468). Die beiden weiteren Stellen, an denen bei N. noch von
„Philosophastern“ die Rede ist, nämlich JGB 202, KSA 5,125,10 sowie NL 1875,
KSA 8, 11 [29], 219, 10, lassen zunächst keinen Dühring-Bezug erkennen (Düh-
ring 1882, 248 seinerseits spricht polemisch von „Philosofaseln“). Wenn NL
1885, KSA 11, 34[99], 453, 26-28 (entspricht KGW IX 1, N VII1, 127, 8-12) Fried-
rich Albert Lange (in stilkritischer Absicht) zitierte: „Mit dem Lobe der Gegen-
wart verbindet sich der Cultus der Wirklichkeit“, dann war dieses Zitat keines-
wegs auf Dühring, sondern auf David Friedrich Strauß gemünzt (Lange 1876-
1877, 2, 537) - und natürlich sind auch Drossbach, Teichmüller und Spir Auto-
ren, die bereits in ihren Werktiteln Anspruch auf Wirklichkeitserkenntnis erho-
ben haben (Drossbach 1884; Teichmüller 1882 u. Spir 1877). Freilich bezeichne-
te Dühring sein System explizit als „Wirklichkeitsphilosophie“: „Das System,
welches in dem vorliegenden Cursus zu einer nach allen wesentlichen Richtun-
gen verzweigten Darstellung gelangt, unterscheidet sich sehr erheblich von al-
len früheren Gestalten der Philosophie. Man könnte es das natürliche System
oder die Wirklichkeitsphilosophie nennen, da es die künstlichen und natur-
widrigen Erdichtungen beseitigt und zum ersten Mal den Begriff der Wirklich-
keit zum Maass aller ideellen Conceptionen macht.“ (Dühring 1875a, 13) Fortan
benutzte er den Begriff „Wirklichkeitsphilosophie“ als Markennamen für sein
Denken.
„Philosophaster“ hieß schon eine satirische Komödie von Robert Burton
aus dem Jahr 1615, in der eine Reihe von Pseudo-Philosophen auftrat; nach
Wilhelm Traugott Krugs Allgemeinem Handwörterbuch der philosophischen Wis-
senschaften ist der Philosophaster schlicht „ein Afterweiser, ein unechter Phi-
losoph“ (Krug 1828, 3, 191, vgl. den ausführlichen Nachtrag mit diversen Bele-
gen in Krug 1838, 5, 142 f.). Der Ausdruck wurde von den Philosophen des 18.
und 19. Jahrhunderts häufig dazu gebraucht, ihren jeweiligen Gegnern die Phi-
losophenwürde abzuerkennen - so immer wieder in Schopenhauers Polemiken
gegen Idealisten und Zeitgenossen (z. B. Schopenhauer 1873-1874, 2, 606 u.
617; Schopenhauer 1864, 296 u. 330) und auch bei Dühring, der alles, was mit
Religion und Mystik zu tun hat, unter den Verdacht der Philosophasterei stell-
 
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