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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0151
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Stellenkommentar JGB 11, KSA 5, S. 24 131

Unter dem Titel „Anti-Kant“ hat N. wesentliche Punkte aus JGB 11 in
NL 1885, KSA 11, 34[82], 445, 1-24 (entspricht KGW IX 1, N VII 1, 143, 16-144,
40) vorweggenommen: „Anti-Kant. / Vermögen, Instinkt, Vererbung, Ge-
wohnheit4 wer mit solchen Worten etwas zu erklären meint, muß heute be-
scheiden und überdies schlecht geschult sein. Aber am Ausgange des vorigen
Jahrhunderts wüthete es. Galiani erklärte alles aus Gewohnheiten und Instink-
ten. Hume erklärte den Causalitätssinn aus der Gewohnheit; Kant, mit großer
Ruhe sagte: ,es ist ein Vermögen4. Alle Welt war glücklich, besonders als er
auch noch ein moralisches Vermögen entdeckte. Hier lag der Zauber seiner
Philosophie: die jungen Theologen des Tübinger Stifts giengen in die Büsche —
alle suchten nach Vermögen4. Und was fand man nicht Alles! Schelling taufte
es ,die intellektuale Anschauung4, ein Vermögen für’s »Übersinnliche4. Scho-
penhauer meinte an einem schon bereits genügend geschätzten Vermögen, am
Willen, dasselbe gefunden zu haben und mehr, nämlich ,das Ding an sich4. In
England entstanden die Instinktivisten und Intuitionisten der Moral. Es war
die alte Sache vom Glauben und Wissen, eine Art »formaler Glaube4 welcher
irgend einen Inhalt in Anspruch nahm. Die Geschichte geht wesentlich die
Theologen an. Im Stillen wird Leibnitz wieder lebendig, und hinter Leibnitz —
Plato. Die Begriffe als ävdpvpaa; usw. Diese skeptisch beginnende Bewegung
ist in der That gegen die Scepsis gerichtet, sie hat einen Genuß in der
Unterwerfung“ (Vgl. auch NL 1884, KSA 11, 26[412], 261 f.).
Es fällt auf, dass NL 1885, KSA 11, 34[82] und 38[7] die Philosophie Kants
und seiner nach „Vermögen“ dürstenden Nachfolger in Opposition zum cartesi-
anischen Rationalismus und zur Skepsis positionieren, während JGB 11 darin
eine Reaktion auf den „noch übermächtigen Sensualismus“ (KSA 5, 26, 13) zu
erkennen wähnt. So entschieden jeweils die Ablehnung des von Kant einge-
schlagenen Weges artikuliert wird, so schwankend bleiben doch die philoso-
phiehistorischen Gegenoptionen.
In NL 1885, KSA 11, 34[185], 484, 1-16 (entspricht KGW IX 1, N VII1, 66, 2-
42 u. 65, 28-34) wird das Thema »deutsche Philosophie mit und nach Kant4
noch einmal variiert, und zwar unter Hervorhebung ihres reaktionären Charak-
ters und mit der erneuten und ausführlichen Evokation Schopenhauers, der in
JGB 11 gar nicht auftaucht: „Nicht die wirkliche historische Bedeutung
Kants fälschen! Er selber war stolz auf seine Kategorientafel und das Vermögen
dazu entdeckt zu haben: seine Nachfolger waren stolz darauf, solche Ver-
mögen zu entdecken, und der Ruhm der deutschen Philosophie im Auslande
bezog sich darauf: namentlich die intuitive und instinktive Erfas-
sung der »Wahrheit4 war es, was den Ruhm der Deutschen machte. Ihre
Wirkung gehört unter die große Reaction. Eine Art Ersparniß von wis-
senschaftlicher Arbeit, ein direkteres Zuleibegehn an die „Dinge“ selber — eine
 
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