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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0166
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146 Jenseits von Gut und Böse

gegebene Wirklichkeit aus einer Vielheit von Substanzen abzuleiten“. Materia-
lismus namentlich in seiner atomistischen Variante erscheint Spir als etwas
Selbstwidersprüchliches: „Wenn die Körper wirklich existirten, so würden wir
ja das Unbedingte unmittelbar wahrnehmen und es wäre dann nicht nöthig,
hinter dem Wahrnehmbaren noch nach /354/ etwas Weiterem zu suchen, da
das Unbedingte eben der letzte Kern der Wirklichkeit und der äusserste Grenz-
stein der Forschung ist. Allein wir sehen vielmehr, dass die Körper der Theorie
etwas ganz Anderes sind, als die Körper der Wahrnehmung. Es sind nichtwahr-
nehmbare Atome oder Kraftcentra, von welchen kein Mensch sagen kann, was
sie sind, sondern nur, wie sie sich unter einander verhalten.“ (Spir 1877, 1,
353 f.) Auf der Suche nach dem Unbedingten schloss Spir dann folgerichtig
aus, dass die körperlichen Atome überhaupt etwas für sich sein können und
unterstellte den materialistischen Atomisten, eine Art von „relative[m] Absolu-
te [m]“ anzunehmen: „So gross ist indessen die unter den Materialisten herr-
schende Unklarheit, dass viele derselben alle Metaphysik verspotten, ja sich
über die Annahme eines ,Dinges an sich4 überhaupt lustig machen und doch
zugleich die Materie nicht bloss für wirklich existirend, sondern sogar für das
einzige Existirende halten. Sie sind also noch nicht zu dem elementaren Be-
wusstsein gelangt, dass eine wirklich existirende Materie ein Ding an sich, ein
transcendentales Object wäre, dass die Materie nur deshalb in Wahrheit kein
Ding an sich ist, weil sie überhaupt kein Object in der Wirklichkeit, sondern
bloss eine Vorstellungsart im Subjecte ist. Die denkenden, consequenten Empi-
risten haben schon längst erkannt, dass man die Erfahrung nur dann von Meta-
physik rein erhält, wenn man das Dasein der Körper leugnet.“ (Spir 1877, 1,
354) Genau diese Schlussfolgerung wird in 26,18 als allgemeiner Konsens aus-
gegeben, wo die materialistische Atomistik „zu den bestwiderlegten Dingen“
gehört.
In diesen Konsens konnte auch Schmitz-Dumont einbezogen werden, bei
dem N. sich beispielsweise den ersten Satz der folgenden Passage am Rand
markiert hat: „Das denkende Ordnen macht die Materie, bestimmt das Reale
nach dem Begriff der Materie, nach aufeinander wirkenden Ausgangspunkten
der Setzung, sogenannten Atomen von Stoff und Kraft. Fehlt das Denken, dann
hören auch die Atome auf zu existiren, obschon die Welt deshalb doch beste-
hen bleibt. Möglicherweise existirt aber immer und überall Denken in der Welt,
und dann giebt es auch immer und überall eine Körperwelt in dem hier präzi-
sirten Sinne. Die Atome müssen dagegen immer nur als eine mathematische
Fiktion, eine Sorte allereinfachster Rechnungsmarken, betrachtet werden; man
könnte sie vergleichen mit den Feldern des Schachbretts, welche den Zweck
haben, die thatsächlichen Geschehnisse der Welt, die Züge des Spiels, nach
festen Ausgangspunkten zu beurtheilen. Diese Fiktion ist allerdings nicht eine
 
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