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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0175
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Stellenkommentar JGB 13, KSA 5, S. 27 155

za sprach, was Fischer nicht getan habe. Freilich geschah dies erst ganz am
Schluss von Trendelenburgs Abhandlung und steht nicht mehr im direkten Zu-
sammenhang mit der Frage, ob das Selbst in der Selbsterhaltung als Zweck
gesetzt wird. Lapidar heißt es dort: „Diese Einwürfe ergeben sich, wenn man
Spinoza auf seinem eigenen Wege verfolgt und alle Hauptpunkte an der Conse-
quenz oder Inconsequenz mit dem Grundgedanken misst.“ (Trendelenburg
1850, 58) Eine gewisse Nähe von Trendelenburgs Einwand zu den Überlegun-
gen in N.s Text liegt zwar auf der Hand, jedoch zählt das Argument selbst
ebenso wie der in unterschiedlichen Kontexten der damaligen Spinoza-Rezep-
tion ausdrücklich geltend gemachte Inkonsequenz-Vorwurf (vgl. z. B. Borelius
1881, 17) zu den Gemeinplätzen der Spinoza-Kritik, so dass es fraglich ist, ob
wirklich Trendelenburg hier N.s Quelle war. Wahrscheinlicher erscheint der
Rückgriff auf eine populärere, unmittelbarer zeitgenössische Schrift wie Ri-
chard Falckenbergs 1886 erschienene Geschichte der neueren Philosophie: „Die
Grundlage der Tugend ist das Streben nach Selbsterhaltung: wie kann
jemand gut handeln wollen, wenn er nicht existieren will ([Spinoza: Ethik] IV
prop. 21-22)? Da die Vernunft nichts Naturwidriges gebietet, so fordert sie not-
wendig, daß jeder sich selbst liebt, seinen wahren Nutzen sucht und alles be-
gehrt, was ihn vollkommener macht. Nach dem Naturrecht ist alles Nützliche
erlaubt. Nützlich ist, was unsere Macht, Thätigkeit oder Vollkommenheit er-
höht, oder was die Erkenntnis fördert, denn das Leben der Seele besteht im
Denken (IV prop. 26; app. cap. 5). Ein Übel ist allein, was den Menschen hin-
dert, die Vernunft zu vervollkommnen und ein vernünftiges Leben zu führen.
Tugendhaft handeln bedeutet soviel als in der Selbsterhaltung der Führung
der Vernunft folgen (IV prop. 24). — Nirgends sind bei Spinoza die Fehlschlüsse
dichter gehäuft, nirgends offenbart sich das Unzureichende der künstlich zu-
rechtgemachten, in ihrer geradlinigen Abstraktheit der Wirklichkeit an keiner
Stelle kongruenten Begriffe deutlicher, als in der Moralphilosophie. Der Ab-
sicht, mit Ausschluß des Imperatorischen sich einzig darauf zu beschränken,
das wirkliche Handeln der Menschen zu begreifen, ist er so wenig treu geblie-
ben, wie irgend ein Philosoph, der sich die gleiche gesetzt. Er mildert die In-
konsequenz, indem er seine Gebote in das antike Gewand eines Ideals des wei-
sen und freien Menschen kleidet“ (Falckenberg 1886, 100. Zu N. und Falcken-
berg siehe NK 6/1, S. 12). Scandeila 2014,182 f. weist nicht nur daraufhin, dass
für die Spinoza-Kritik in JGB 13 Aufzeichnungen aus dem alten Heft M III 1
wiederverwertet wurden, sondern auch auf den Umstand, dass Afrikan Spir in
dem von N. 1885 wiedergelesenen Werk Denken und Wirklichkeit über die nur
angebliche „Consequenz“ Spinozas gesprochen hatte (Spir 1877, 361). Wie im-
mer es um die Frage nach den Quellen für die Spinoza-Parenthese in JGB 13
bestellt sein mag: Deutlich ist, dass es in N.s Text darum geht, Spinozas Antite-
 
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