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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0177
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Stellenkommentar JGB 13, KSA 5, S. 27 157

trieb zum Ausgangspunkt der Moral gemacht“ und wandte sich zunächst ge-
gen einen allzu gedankenlosen Gebrauch des Kollektivsingulars: „der
Selbsterhaltungstrieb [ist] eine Resultante aus einzelnen Selbsterhaltungstrie-
ben“ (ebd., 125. Alle Unterstreichungen von N.s Hand). „Es ist nun aber nicht
an dem, dass durch diesen Willen der Selbsterhaltungstrieb eine eigene selb-
ständige Macht würde, sondern er bleibt stets abhängig von den Einzeltrieben,
aus welchen er sich zusammensetzt.“ (Ebd., 126. Doppelte Anstreichung N.s
am Rand.) „Es ist also mit dem physischen Selbsterhaltungstrieb wie mit der
Lebenskraft; wie diese blos ein Gesammtausdruck für die organischen Kräfte
des Leibes ist, so ist auch der Selbsterhaltungstrieb blos ein Gesammtausdruck
für die Selbsterhaltungstriebe der einzelnen leiblichen Functionen, und wie
die Lebenskraft nichts thut und nichts wirkt, als soweit die organischen Kräfte
der einzelnen Theile thun und wirken, so ist es auch mit der Selbsterhaltung.“
(Ebd. Doppelte Anstreichung am Rand und vom Buchbinder abgeschnittene
Marginalie von N.s Hand: ,,[N]B. / [...] Ist mir / Macht [?]“) Die in JGB 13 unter
dem Stichwort der „Inconsequenz“ namhaft gemachte Spinoza-Kritik nimmt
Baumann gleichfalls vorweg: „Dass der Selbsterhaltungstrieb im Ganzen und
Grossen zweckmässig wirkt, d. h. der Erhaltung des Lebens dient durch seine
Betätigungen, ist zuzugeben. Aber von einem Selbsterhaltungstrieb im Sinne
Spinoza’s als einer schlechthinigen Selbstbejahung, bei welcher der Selbst-
mord ein Räthsel würde, und nur als ein Werk des Wahnsinns könnte angese-
hen werden, ist nicht die Rede. Im Gegentheil, die Einzeltriebe, aus denen sich
der Selbsterhaltungstrieb zusammensetzt, wirken keineswegs immer zur Erhal-
tung des ganzen Wesens zusammen, sondern der eine oder andere von ihnen
operirt oft auf Unkosten und zum Nachtheil der anderen, so zwar, dass
schliesslich eine Schädigung für das Gesammtleben und somit auch für jenen
Trieb selber entsteht.“ (Baumann 1879, 127. Zwei Mal doppelte Anstreichung
und zwei Mal „gut“ von N.s Hand am Seitenrand). In den Schlussfolgerungen
betonte Baumann wie NL 1880, KSA 9, 6[145], 234 noch einmal den hedonisti-
schen Aspekt: „Das Resultat unserer Erörterung ist: der Selbsterhaltungstrieb
ist nichts Einfaches und nichts Absolutes, er löst sich auf in viele Triebe, wel-
che vielfach Zusammenwirken zur Lebenserhaltung, oft aber auch gegeneinan-
der wirken, so dass das Ge-/130/sammtleben geschädigt wird. Der Selbsterhal-
tungstrieb als eine geistige, bewusste Potenz ferner ist secundär, ihm liegt stets
zu Grunde eine Lust, welche gesucht, eine Unlust, welche geflohen wird. Lust
und Unlust haben an sich aber blos Beziehung auf die momentane Lage und
ihre Verhältnisse ([...]). So ist es darum auch mit der Selbsterhaltung.“ (Bau-
mann 1879,129 f. Letzter Satz mit dreifacher Anstreichung und einer vom Buch-
binder abgeschnittenen Marginalie N.s am Seitenrand.) Entsprechend dekre-
tierte Baumann: „Der Selbsterhaltungstrieb ist also zum Fundament der Moral
 
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