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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0211
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Stellenkommentar JGB 20, KSA 5, S. 33 191

vermutlich nicht authentischen Ausspruch des siebzehnjährigen französischen
Königs Louis XIV nachempfunden, welcher damit den Widerstand quittiert
haben soll, der sich gegen seine Finanzpolitik regte: „L’etat c’est moi“ (Münkler
1998, 21. „Der Staat bin ich“).
33, 32-34, 3 wie gesagt, eines Gesellschaftsbaus vieler „Seelen“: weshalb ein
Philosoph sich das Recht nehmen sollte, Wollen an sich schon unter den Gesichts-
kreis der Moral zu fassen: Moral nämlich als Lehre von den Herrschafts-Verhält-
nissen verstanden, unter denen das Phänomen „Leben“ entsteht. —] Vgl. NK 33,
26 f. Im Druckmanuskript stand stattdessen zunächst: „eines Gesellschaftsbaus
der Triebe und Affekte: man vergebe mir die Neuerung in der philosophischen
Terminologie, daß in so fern der ,Wille4 selbst bei mir als ein moralisches Phä-
nomen in Betracht gezogen wird.“ (KSA 14, 350) Die ursprüngliche Fassung
verzichtet also auf die Wiederholung des metaphysisch konnotierten Seelen-
Begriffs und reduziert den „Gesellschaftsbau“ auf „Triebe und Affekte“, womit
die exakte Formulierung von JGB 12 wieder aufgenommen wird (vgl. NK 27, 9-
18). Die endgültige Druckfassung expliziert dann deutlich, weshalb Wille/Wol-
len unter moralischen Gesichtspunkten zu untersuchen seien - weil „Moral“
zur „Lehre von den Herrschafts-Verhältnissen“ umgewidmet wird, und zwar
spezifischer Herrschaftsverhältnisse, die Leben ermöglichen. Nun ist das Wort
„Phänomen“ dem Leben beigesellt und nicht mehr wie in der Vorstufe dem
„Willen“ als „moralischem Phänomen“. Diese Umstellung ist in der Sachlogik
von JGB 19 insofern gerechtfertigt, als der Wille ja eingangs gerade nicht als ein
Phänomen, eine wahrnehmbare Erscheinung galt, sondern verdächtigt wurde,
lediglich ein philosophisches Konstrukt zu sein.

20.
Dieser Abschnitt, der von der Verwandtschaft aller philosophischen Begrifflich-
keit ausgeht, scheint zunächst listig auf eine Art philosophia perennis zuzulau-
fen, die mit dem Stichwort des „Wiedererinnerns“ unter der Flagge Platons
läuft (vgl. auch Kirchhoff 1977, 37-39): In Unkenntnis des in den vorangegange-
nen Abschnitten von JGB Behandelten entsteht beim isolierten Lesen von JGB
20 zunächst der trügerische Eindruck, der Abschnitt optiere für eine begriffli-
che Einheit und Nähe alles Philosophierens, weil dieses Philosophieren auf
denselben unwandelbaren, womöglich vorgeburtlich geschauten Ideen grün-
de. Zu diesem Eindruck würde der Schlusssatz passen, der sich gegen John
Lockes Empirismus verwahrt, der alle Ideen aus sinnlicher Erfahrung gewon-
nen sieht. Die Pointe von JGB 20 besteht jedoch darin, dass Anfang und Ende
des Abschnittes scheinbar ganz traditionell idealistisch argumentieren, aber in
 
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