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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0214
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194 Jenseits von Gut und Böse

mentreffen, welches die Physiologen vielleicht durch die Kraft des Atavismus
zu erklären versuchen werden, die ihre Wirkung auf die Intelligenz der indo-
germanischen Rasse ausübe“ (Dumont 1876, 40).
Von „Familien-Aehnlichkeit“ wird im Blick auf ,,alle[.] Religion und Wis-
senschaft bereits in MA 1110, KSA 2,111, 7 gesprochen, allerdings in sehr ableh-
nendem Ton. Bekanntlich macht der Ausdruck „Familienähnlichkeit“ dann bei
Fritz Mauthner und Ludwig Wittgenstein philosophisch Karriere, offenbar
ohne im letzteren Fall von N. direkt beeinflusst zu sein, siehe Brusotti 2009,
352-357.
34, 25-35, 7 Gerade, wo Sprach-Verwandtschaft vorliegt, ist es gar nicht zu ver-
meiden, dass, Dank der gemeinsamen Philosophie der Grammatik — ich meine
Dank der unbewussten Herrschaft und Führung durch gleiche grammatische
Funktionen — von vornherein Alles für eine gleichartige Entwicklung und Reihen-
folge der philosophischen Systeme vorbereitet liegt: ebenso wie zu gewissen an-
dern Möglichkeiten der Welt-Ausdeutung der Weg wie abgesperrt erscheint. Phi-
losophen des ural-altaischen Sprachbereichs (in dem der Subjekt-Begriff am
schlechtesten entwickelt ist) werden mit grosser Wahrscheinlichkeit anders „in
die Welt“ blicken und auf andern Pfaden zu finden sein, als Indogermanen oder
Muselmänner: der Bann bestimmter grammatischer Funktionen ist im letzten
Grunde der Bann physiologischer Werthurtheile und Rasse-Bedingungen.]
Das 19. Jahrhundert war die große Zeit der Indogermanistik, die die Struktur-
ähnlichkeiten europäischer Sprachen und des Sanskrit hervorhob. Erschöp-
fend erschließt die wissenschaftsgeschichtlichen Hintergründe Rabault-Feuer-
hahn 2008. Der enge Zusammenhang von Sprache und Kultur war zu N.s Zeit
ein populärer Forschungsgegenstand, dem sich etwa Heymann Steinthal und
Friedrich Max Müller widmeten. Mit ihren Arbeiten war N. vertraut (siehe Em-
den 2005, 79; Emden 2010, 180 f. u. Figl 2007, 195). Der Gegensatz, den JGB
20 zwischen den indogermanischen und uralaltaischen Sprachen ausgeprägt
findet, spiegelt eine damalige Diskussion wider. Heinrich Winkler hat in seiner
Monographie Uralaltaische Völker und Sprachen „das fehlen eines wirklichen
subjectcasus“ (Winkler 1884, 53) als Charakteristicum des Uralaltaischen her-
vorgehoben und sich dabei auch auf Heymann Steinthal berufen. In den uralal-
taischen Sprachen herrsche eine „energielose auffassung der verbalen thätig-
keit als eines zustandes“ vor, „welche es zu einem subjectscasus gar nicht, zu
einem objectscasus nur unvollkommen kommen lässt“, so dass „das energi-
sche haben unserer sprachen im uralalt. als ein sein oder sein-bei er-
scheint, oder gar die handelnde person als das abhängige im genetiv, die hand-
lung als subject“ (Winkler 1884, 68).
Einen derartigen linguistischen Befund griff N. nun auf, um die sprachkri-
tischen Ansätze etwa bei Gustav Teichmüller experimentell zu radikalisieren
 
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