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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0215
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Stellenkommentar JGB 20, KSA 5, S. 34 195

(siehe Orsucci 2007,151). Teichmüller hat sich wiederholt gegen diejenigen Phi-
losophen gewandt, die aus dem Sprachgebrauch schlankweg die Beschaffen-
heit der Wirklichkeit deduzieren wollten: „Es fehlt viel daran, dass wir, wie
Aristoteles, den Sprachgebrauch zum Meister und Richter nehmen“ (Teichmül-
ler 1882, 43). Dieser habe bemerkt, „dass die Wörter im Bezug auf ihren /48/
Gebrauch als Subject oder im Prädicate sich unterscheiden lassen und dass
die Eigennamen oder die singulär gebrauchten Gattungsnamen immer nur als
Subject vorkommen und niemals prädicativ, z. B. Sokrates oder dieses Pferd
hier. Demgemäss glaubte er in dem, was immer nur Subject ist, das wahre
Substantiv, d. h. das Wesen, das Ding, die eigentliche Substanz angetroffen zu
haben.“ (Ebd., 47 f.) Eine solche aus dem Sprachgebrauch gewonnene Ontolo-
gie, die auf der „Projection der sinnlich-imaginativen Synthesen“ (ebd., 48)
beruht, weist Teichmüller zurück: „Dies ist grade der Punkt, wo die Logik dem
Einfluss der Sprache corrigirend entgegen tritt, denn die Sprache arbeitet nicht
allein dem Denken gemäss, sondern auch unter dem Druck der Gesetze, welche
die Psychologie schon ziemlich gut für die Associationen und Reproductionen
nachgewiesen hat.“ Dennoch aber gab die Sprache, hatte man den aristoteli-
schen Irrtum einmal ausgemerzt, auch für Teichmüller entscheidende Hinwei-
se, wo denn die wahre Substanz zu finden sei: Wir müssten „rein sprachlich
weiter fragen [...], welches Wort etwa nach Ausschluss der eben charakterisir-
ten ganzen sinnlichen Sphäre, von Aristoteles übersehen, übrig bleibe und im-
mer nur als Subject vorkomme. Da finden wir denn nur das Pronomen Ich. [...]
Wichtig für uns ist nur, dass das Ich in der That von der Sprache niemals prädi-
cativ gebraucht wird und insofern eine Ausnahmestellung einnimmt. Denn,
wenn wir die sinnlichen Substanzen, wie gesagt, weglassen, so bleibt bloss
das Ich übrig, von welchem alles Sein, d. h. sowohl das prädicative mit Copula
als auch das Sein als Existenz ausgesagt wird. Das Ich wird desshalb als Grund-
lage (vnoKsljisvov) des Seins betrachtet, d. h. als Wesen, z. B. ,Ich bin4 und ,ich
bin vergnügt4. Denn wenn wir ,Ich bin4 sagen, so soll das Sein, oder die Exis-
tenz dem Ich zukommen. Da nun das Sein ohne weiteres Prädicat eben auch
nichts anderes als das Sein enthält, so wird also das Subject als Seiendes oder
als Wesen von der Sprache anerkannt, und zwar in der Art, dass äusser dem
Ich nichts anderes diese Stelle einnimmt.“ (Ebd.) „Das Neue“ seiner eigenen
Untersuchung sieht Teichmüller gerade „in der Beschränkung des Wesens auf
das Ich“ (ebd., 49).
Obwohl Teichmüller also durchaus wie JGB 20 die Ontologisierung sprach-
licher Befunde kritisiert, unterbietet er im Interesse seiner eigenen ontologi-
schen Präferenzen diese Kritik dort, wo es um das Subjekt, das Ich geht, von
dem er behauptet, dass „die Sprache“ es nie prädikativ gebrauche. Genau hie-
ran macht JGB 20 die sprachliche Befangenheit von Philosophie im indogerma-
 
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