Metadaten

Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0217
License: Free access  - all rights reserved
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Stellenkommentar JGB 21, KSA 5, S. 34-35 197

existens.“ (Baruch de Spinoza: Ethica ordine geometrico demonstrata I, def. I.
„Als Ursache seiner selbst begreife ich etwas, dessen Wesen die Existenz einbe-
greift, oder etwas, dessen Natur nur als seiend aufgefasst werden kann.“ Vgl.
Fischer 1865, 2, 330.) Auch Spinoza - der die Willensfreiheit leugnete - sprach
nicht dem Menschen zu, causa sui zu sein, sondern der als Gott oder alternativ
als natura naturans bezeichneten Einen Substanz. Dagegen polemisierte Scho-
penhauer in seiner Dissertation Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom zu-
reichenden Grunde, indem er mit Descartes auf dem Unterschied zwischen Er-
kenntnisgrund und Realgrund beharrte, dieselbe Münchhausen-Metaphorik
benutzend, die in JGB 21, KSA 5, 35, 20-22 wiederkehrt: „Was demnach beim
Kartesius bloßer Erkenntnisgrund war, macht Spinoza zum Realgrund: hatte
jener im ontologischen Beweise gelehrt, dass aus der essentia Gottes seine exis-
tentia folgt, so macht dieser daraus die causa sui [...]. Hier haben wir nun die
handgreiflichste Verwechselung des Erkenntnisgrundes mit der Ursache. Und
wenn die Neospinozisten (Schellingianer, Hegelianer u.s.w.), gewohnt, Worte
für Gedanken zu halten, sich oft in vornehm andächtiger Bewunderung über
dieses causa sui ergehn; so sehe ich meinerseits in causa sui nur eine contra-
dictio in adjecto, ein Vorher was nachher ist, ein freches Machtwort, die unend-
liche Kausalkette abzuschneiden [...]. Das rechte Emblem der causa sui ist Ba-
ron Münchhausen, sein im Wasser sinkendes Pferd mit den Beinen umklam-
mernd und an seinem über den Kopf nach vorn geschlagenen Zopf sich mit
sammt dem Pferde in die Höhe ziehend; und darunter gesetzt: Causa sui“
(Schopenhauer 1873-1874, 1, 15).
In der älteren ontologischen Debatte war freilich von einer individuellen
menschlichen Freiheit des Willens, auf die JGB 21 die causa sui bezieht, nicht
die Rede. Einen solchen Bezug ermöglichte erst die an Kant anschließende
Ethik, die das menschliche Individuum als praktisches Subjekt zur sittlichen
Freiheit berufen verstand und daher ausschließen musste, dass die Spontanei-
tät des sich selbst vernünftig bestimmenden (Individual-)Willens durch (äuße-
re) kausale Determination beeinträchtigt werden könne. So argumentiert Jo-
hann Heinrich Witte: „Das selbstbewusste Begehren kann nicht blos Wirkung
und Ursache zu einem geistigen Ganzen verbinden, sondern auch zum Inhalte
einer einzigen geistigen Substanz machen. Diese, als Ursache eines Gesetzes,
das von ihrem eigenen Wesen untrennbar ist, als Grund ihres selbstbewussten
Wirkens und Wechsels, ist wahrhaft eine causa sui. Der Begriff einer solchen
ist widerspruchsvoll nur, so lange man an der irrigen Auffassung festhält, dass
jede causa wiederum Wirkung sein müsse; er entspricht sogar allein der Wirk-
lichkeit eines selbstbewussten Begehrens, das selbstbewusster Grund seines
eigenen selbstbewussten Wechsels ist. Der Wille, als die stets entscheidende
Ursache seines Begehrens, befindet sich sogar immer in dieser Lage, er ist folg-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften