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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0269
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Stellenkommentar JGB 31, KSA 5, S. 48-49 249

49, 3-9 Es giebt Bücher, welche für Seele und Gesundheit einen umgekehrten
Werth haben, je nachdem die niedere Seele, die niedrigere Lebenskraft oder aber
die höhere und gewaltigere sich ihrer bedienen: im ersten Falle sind es gefährli-
che, anbröckelnde, auflösende Bücher, im anderen Heroldsrufe, welche die Tap-
fersten zu ihrer Tapferkeit herausfordern.] Es bedarf keines esoterischen Tief-
sinns und keiner besonderen Begabung mit einem Blick „von Oben herab“,
um zu erkennen, dass hier von N.s eigenen Büchern, namentlich Also sprach
Zarathustra und Jenseits von Gut und Böse gesprochen wird.
49, 10-12 der Kleine-Leute-Geruch klebt daran. Wo das Volk isst und trinkt,
selbst wo es verehrt, da pflegt es zu stinken. Man soll nicht in Kirchen gehn, wenn
man reine Luft athmen will.] In der in KSA 14, 352 mitgeteilten Vorstufe heißt
es stattdessen ausführlicher: „der zäheste aller Gerüche klebt daran. Wo das
Volk ißt und trinkt, selbst wo es verehrt, stinkt es: und dies ist kein Einwand
weder gegen seine Nahrungsmittel (noch} gegen seine Verehrung. Man soll
zum Beispiel nicht in Kirchen gehen, wenn man reine Luft athmen will: aber
es giebt Wenige, welche ein Recht auf,reine Luft4 haben: welche nicht an der
reinen Luft zu Grunde gehen würden. Dies zur Abwehr gegen den Verdacht,
als ob ich die ,Freidenker4 in meine Gärten einladen wollte.“

31.
JGB 31 geht zurück auf eine Aufzeichnung vom Sommer 1885, die die Über-
schrift „Neue unzeitgemäße Betrachtung“ trägt und die in JGB 31 ab-
gelöst vorgetragene Überlegung in einen autobiographischen Zusammenhang
einbettet: „Man verehrt und verachtet in jungen Jahren wie ein Narr rnoch
ohne jene Kunst der Nuance, die den besten'' [Gewinn des Lebens ausmachtj
und bringt wohl [muß es hart büßenj Tölpelhaft'' [mit tölpelhafter Liebe und
VerachtungJ rMenschen u. Dingen'1 seine zartesten und ''geheimste'' höchsten
Gefühle '‘Träume'' ''Geheimschrift'' zur Auslegung von Menschen und Dingen
dar, welche unter unserm Werthe stehen: rnicht zu uns gehören, so wenig als
wir zu ihnen gehören'' - Jugend selber ist etwas Fälschendes und Betrügeri-
sches. rEs scheint, daß das Ehrfürchtige u. Zornige, was der Jugend eignet,
durchaus keine Ruhe hat, als bis es sich M. u. Dinge so zurecht »gefälscht4 hat,
bis es an denselben seine Affekte entladen kann/ Später, wo man stärker, tie-
fer, auch wahrhaftiger geworden ist, erschrickt man zu entdecken, wie wenig
man damals die Augen offen gehabt hat, als man auf diesen Altären opferte.
Man zürnt sich, all das Eitle, Übertreibende, Unächte, Geschminkte, Schau-
spielerische an unseren geliebten Götzen nicht gesehen zu haben, — man zürnt
sich wegen dieser Selbst=Verblendung, wie als ob sie eine unredliche Blindheit
 
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