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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0272
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252 Jenseits von Gut und Böse

maligen Verfeinerung u. beinahe einerj völligen Umkehrung dieses Urtheils
stehen? leh Wir fühlen rMich für meinen TheiF, daß gerade in dem, was nicht
absichtlich an einer Hdl. ist, ihr Werth u Unwerth steckt: die ralle'' Absicht
gehört zur Oberfläche, zur Haut des ''unseres'' »inneren Menschen4 - sie bedeu-
tet nichts, weil sie zu Vielerlei bedeuten kann. — Freilich: wir werden nicht
mehr so leicht Jemandem das Recht geben, nach diesem neuen Senkblei den
Werth u Unwerth einer Hdl. zu messen: u es ist mehr als je an der Zeit, die
moralische Verketzerung oder Verherrlichung unter die Anzeichen des schlech-
ten Geschmacks u. der pöbelhaften Manieren [AbkunftJ zu rechnen.“ (Druck-
typographisch normalisiert nach KGW IX 2, N VII 2, 102-101, vgl. KSA 14, 352.)
In der Vorstufe ist am Schluss mit Bleistift notiert: „die nach-moralische Epo-
che“ (KGW IX 2, N VII2,101, 20 f.). In JGB 32 amalgamierte N. rechtshistorische
Erkenntnisse, die er namentlich aus Albert Hermann Post schöpfte, mit philo-
sophischen Einsichten, die aus einer erneuten Schopenhauer-Lektüre erwuch-
sen. Zur Interpretation dieses Abschnitts siehe Benne 2005, 144.
50, 9-17 Die längste Zeit der menschlichen Geschichte hindurch — man nennt
sie die prähistorische Zeit — wurde der Werth oder der Unwerth einer Handlung
aus ihren Folgen abgeleitet: die Handlung an sich kam dabei ebensowenig als
ihre Herkunft in Betracht, sondern ungefähr so, wie heute noch in China eine
Auszeichnung oder Schande vom Kinde auf die Eltern zurückgreift, so war es die
rückwirkende Kraft des Erfolgs oder Misserfolgs, welche den Menschen anleitete,
gut oder schlecht von einer Handlung zu denken.] Diesen reinen Konsequentia-
lismus, der eine Handlung nur nach den Folgen, aber nicht nach ihrer „Her-
kunft“ beurteilt, charakterisiert später NL 1888, KSA 13, 14[185], 372, 1-4 (ent-
spricht KGW IX 8, W II 5, 23, 7-10) als philosophisch durchaus moderne und
ambitionierte, nämlich utilitaristische Position: „Der Werth einer Handlung
muß aus ihren Folgen bemessen werden — sagen die Utilitarier: — sie nach
ihrer Herkunft zu messen, implicirt eine Unmöglichkeit, nämlich diese zu
wissen.“ Wenn hier an Autoren wie John Stuart Mill gedacht sein sollte,
dann impliziert das keineswegs Zustimmung, denn man kenne doch eigentlich
auch die weiteren „Folgen“ einer Handlung nicht: „Die Utilitarier sind naiv ...“
(KSA 13, 372, 8).
In JGB 32 tritt hingegen dieser Konsequentialismus nicht als philosophi-
sche Gegenwartsposition, sondern vielmehr als ursprüngliche, „prähistori-
sche“ Überzeugung der Menschheit in Erscheinung. Für diese Behauptung wie-
derum standen N. rechtshistorische Erkenntnisse Pate, die er namentlich aus
Albert Hermann Posts Bausteinen für eine allgemeine Rechtswissenschaft ge-
winnen konnte. In der nicht näher spezifizierten Frühzeit sei „eine Verschul-
dung des Thäters“ keineswegs eine „nothwendige Voraussetzung für die Straf-
barkeit desselben“ gewesen: „Es findet sich vielmehr vielfach die Anschauung
 
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