Stellenkommentar JGB 36, KSA 5, S. 55 283
sierte (Drossbach 1884,1-7) und dagegen hielt: „Die wirkende Kraft ist das
Realprincip oder die reale causa, welche das Gewirkte macht“ (ebd., 5).
Diese „wirkende Kraft“ füllte N. dann mit „Willen“ aus und überbot dies in der
Fassung von JGB 36 mit dem noch stärkeren Begriff der Willenskausalität (der
ihm wiederum bei Bahnsen 1882, 1, 136 begegnet sein kann, dem zufolge „das
Innesein der eigenen spontanen Willenscausalität unmittelbar zu einer centra-
len, metaphysisch beglaubigenden wie beglaubigten Einheit führt“).
Zur Kausalität des Willens im Anschluss an und in Abgrenzung von Roux
1881 vgl. Müller-Lauter 1978, S. 212 f. (ferner zur systematischen Frage Müller-
Lauter 1999a, 61 f., Fn. 116); zum Begriff der Methode bei N. im Horizont seiner
Ausbildung im philologischen Seminar Danneberg 2007,119 u. ö. sowie NK KSA
6, 179. 11-13.
55, 23-34 Gesetzt endlich, dass es gelänge, unser gesammtes Triebleben als die
Ausgestaltung und Verzweigung Einer Grundform des Willens zu erklären — näm-
lich des Willens zur Macht, wie es mein Satz ist gesetzt, dass man alle orga-
nischen Funktionen auf diesen Willen zur Macht zurückführen könnte und in ihm
auch die Lösung des Problems der Zeugung und Ernährung — es ist Ein Pro-
blem — fände, so hätte man damit sich das Recht verschafft, alle wirkende
Kraft eindeutig zu bestimmen als: Wille zur Macht. Die Welt von innen gese-
hen, die Welt auf ihren „intelligiblen Charakter“ hin bestimmt und bezeichnet —
sie wäre eben „Wille zur Macht“ und nichts ausserdem. —] Erst in dieser Passage
wechselt der Text vom Indikativ in den Konjunktiv II, um damit die Irrealität
oder wenigstens die Unwahrscheinlichkeit des Gesagten anzuzeigen. Dass hier,
wissenschaftliches Sprechen persiflierend, tautologisch argumentiert wird,
müsste eigentlich jedem aufmerksamen Leser auffallen: Unter der Bedingung,
dass es gelänge, alles Seiende als Wille zur Macht zur bestimmen, wäre eben
alles Seiende Wille zur Macht. Auch wenn man mit Lampert 2001, 86 die Anla-
ge von JGB 36 als gedankliche Experimentieranordnung begreift, heißt das
nicht, dass daraus überzeugende Resultate oder gültige Schlussfolgerungen
gewonnen werden müssten - und dass die berufenen Leserinnen und Leser
von Jenseits von Gut und Böse mehr oder weniger sachte auf den Pfad geführt
werden sollen, in allem „Wille zur Macht“ zu sehen (vgl. Lampert 2001, 36 f.,
dazu Tongeren 2010, 623). Womöglich ist der Text ja auch nur als Als-ob-Expe-
riment gestaltet (die Konditionalisierung und die Konjunktive wären starke An-
haltspunkte für eine solche Lesart), und keineswegs darauf aus, wie Schwep-
penhäuser 1988, 49 meint, „das rationalistische Paradigma wissenschaftlicher
Naturerklärung durch ein irrationales Prinzip“ zu ersetzen. Eine ernsthafte
Interpretation müsste die strategische Funktion des „Willens zur Macht“ im
agonalen Gefüge von JGB in Rechnung stellen: „Im 22. Aphorismus betont
Nietzsche ausdrücklich, dass seine Interpretation der Welt als ,Wille zur Macht4
sierte (Drossbach 1884,1-7) und dagegen hielt: „Die wirkende Kraft ist das
Realprincip oder die reale causa, welche das Gewirkte macht“ (ebd., 5).
Diese „wirkende Kraft“ füllte N. dann mit „Willen“ aus und überbot dies in der
Fassung von JGB 36 mit dem noch stärkeren Begriff der Willenskausalität (der
ihm wiederum bei Bahnsen 1882, 1, 136 begegnet sein kann, dem zufolge „das
Innesein der eigenen spontanen Willenscausalität unmittelbar zu einer centra-
len, metaphysisch beglaubigenden wie beglaubigten Einheit führt“).
Zur Kausalität des Willens im Anschluss an und in Abgrenzung von Roux
1881 vgl. Müller-Lauter 1978, S. 212 f. (ferner zur systematischen Frage Müller-
Lauter 1999a, 61 f., Fn. 116); zum Begriff der Methode bei N. im Horizont seiner
Ausbildung im philologischen Seminar Danneberg 2007,119 u. ö. sowie NK KSA
6, 179. 11-13.
55, 23-34 Gesetzt endlich, dass es gelänge, unser gesammtes Triebleben als die
Ausgestaltung und Verzweigung Einer Grundform des Willens zu erklären — näm-
lich des Willens zur Macht, wie es mein Satz ist gesetzt, dass man alle orga-
nischen Funktionen auf diesen Willen zur Macht zurückführen könnte und in ihm
auch die Lösung des Problems der Zeugung und Ernährung — es ist Ein Pro-
blem — fände, so hätte man damit sich das Recht verschafft, alle wirkende
Kraft eindeutig zu bestimmen als: Wille zur Macht. Die Welt von innen gese-
hen, die Welt auf ihren „intelligiblen Charakter“ hin bestimmt und bezeichnet —
sie wäre eben „Wille zur Macht“ und nichts ausserdem. —] Erst in dieser Passage
wechselt der Text vom Indikativ in den Konjunktiv II, um damit die Irrealität
oder wenigstens die Unwahrscheinlichkeit des Gesagten anzuzeigen. Dass hier,
wissenschaftliches Sprechen persiflierend, tautologisch argumentiert wird,
müsste eigentlich jedem aufmerksamen Leser auffallen: Unter der Bedingung,
dass es gelänge, alles Seiende als Wille zur Macht zur bestimmen, wäre eben
alles Seiende Wille zur Macht. Auch wenn man mit Lampert 2001, 86 die Anla-
ge von JGB 36 als gedankliche Experimentieranordnung begreift, heißt das
nicht, dass daraus überzeugende Resultate oder gültige Schlussfolgerungen
gewonnen werden müssten - und dass die berufenen Leserinnen und Leser
von Jenseits von Gut und Böse mehr oder weniger sachte auf den Pfad geführt
werden sollen, in allem „Wille zur Macht“ zu sehen (vgl. Lampert 2001, 36 f.,
dazu Tongeren 2010, 623). Womöglich ist der Text ja auch nur als Als-ob-Expe-
riment gestaltet (die Konditionalisierung und die Konjunktive wären starke An-
haltspunkte für eine solche Lesart), und keineswegs darauf aus, wie Schwep-
penhäuser 1988, 49 meint, „das rationalistische Paradigma wissenschaftlicher
Naturerklärung durch ein irrationales Prinzip“ zu ersetzen. Eine ernsthafte
Interpretation müsste die strategische Funktion des „Willens zur Macht“ im
agonalen Gefüge von JGB in Rechnung stellen: „Im 22. Aphorismus betont
Nietzsche ausdrücklich, dass seine Interpretation der Welt als ,Wille zur Macht4