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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0312
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292 Jenseits von Gut und Böse

ren in Stendhals Correspondance inedite von 1855. Der Passus stammt aus ei-
nem Brief an einen „Monsieur S...S...“ vom 28.12.1829, in dem Stendhal dem
Empfänger einen nicht publizierten, polemischen Artikel gegen die Transzen-
dentalphilosophie übermittelte. Dort heißt es: „Contre l’opinion des femmes:
la Philosophie allemande cherche toujours ä emouvoir le coeur et ä eblouir
1’imagination par des images dune beaute celeste. Pour etre bon philosophe,
il faut etre sec, clair, sans illusion. Un banquier qui a fait fortune a une partie
du caractere requis pour faire des decouvertes en Philosophie, c’est-ä-dire pour
voir clair dans ce qui est” (Stendhal 1855b, 2, 87. „Gegen die Meinung der Frau-
en: Die deutsche Philosophie versucht immer das Herz zu bewegen und die
Vorstellungskraft mit Bildern einer himmlischen Schönheit zu blenden. Um ein
guter Philosoph zu sein, muss man trocken, klar, ohne Illusion sein. Ein Ban-
quier, der sein Vermögen gemacht hat, hat einen Teil des erforderlichen Cha-
rakters, um Entdeckungen in der Philosophie zu machen, das heisst um klar
zu sehen in dem, was ist“). Notiert hat sich N. diesen Passus in NL 1884, KSA
11, 26[394] u. 26[396], 254 f. und überdies in NL 1885, KSA 11, 35[34], 524, 33f.
(entspricht KGW IX 4, W I 3, 112, 4-6) darauf angespielt (vgl. Mauch 2009,
274, Fn. 86). Um den Seitenhieb in 57, 20 gegen „den deutschen Geschmack“
einordnen zu können, ist es hilfreich zu wissen, dass Stendhal seine Bemer-
kung selbst schon gegen die seiner Ansicht nach romantisch-gefühlsselige
deutsche Philosophie gemünzt hat. Zu N. und Stendhal vgl. auch NK 199, 21-
33 u. Donnellan 1982, 114-119.
40.
Das Motiv der Masken ist in N.s Werken und Nachlass insgesamt stark präsent
und wird entsprechend eingehend in der Forschungsliteratur diskutiert (vgl.
Imasaki 2013, ferner Kaufmann 1981/82; Rosen 1995; Vivarelli 1998; Klass 2000;
Goedert 2006; Williams 2010; Peinzger 2011 sowie Schubert 2013, 296-300, im
allgemeinen kulturhistorischen Horizont Weihe 2004, 85-87 u. 114 f.). Ur-
sprünglich hätte nicht nur ein eigenes Hauptstück von JGB „Masken“ heißen
sollen (vgl. NK ÜK JGB), sondern Masken sind in dem Werk selbst vielfach
explizit präsent (so neben JGB 40 in JGB 190, JGB 194, JGB 225, JGB 230, JGB
242, JGB 270, JGB 278 u. JGB 289), und zwar oft mit dem Tenor, dass das subtile,
ins Künftige weisende philosophische Denken der Masken bedürfe, ohne je-
doch hinter den Masken ein einziges und wahres Selbst zu verbergen. JGB 40
erhebt den Gebrauch von Masken zum bestimmenden Habitus des freien Geis-
tes, der freilich nicht unerkannt hinter den Masken lauert, sondern sich im
Maskenspiel realisiert, ja erst er selbst wird. Die Maskenphilosophie ist beson-
ders wirkungsvoll durch den Gegensatz zum unmittelbar vorangehenden Ab-
 
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