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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0345
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Stellenkommentar JGB 46, KSA 5, S. 67 325

sches Erdenglück mehr für das Göttliche gelten können, mit dessen Versagung
die Gottheit ihre Vaterpflicht gegen uns leidende Menschenkinder versäum-
te! — / Sehet, die Gottheit selber, sie leidet! Sehet, das Leiden ist göttlich! Se-
het, am Leiden erkennen wir die Fähigkeit des Göttlichen im Menschen! Wenn
das Leiden göttlich ist, was bleibt auf der Welt das Böse?“ (Wolzogen 1883b,
119) Die Göttlichkeit des Leidens erscheint auch bei N. oft als Quintessenz des
Christentums, von der er sich aber im Unterschied zu Wolzogen in schroffster
Form abwandte - weil diese Vorstellung unvornehm ist. Folgerichtig inszeniert
sich N. gerade im Spätwerk als wütender Feind des Mitleidens, das Wolzogen
(mit Schopenhauer und Wagner) der entnervten Gegenwart als Heilmittel ange-
priesen hat.
67, 9 f. Umwerthung aller antiken Werthe] Vgl. NK 126, 32.
67, 11-13 an Rom und seiner vornehmen und frivolen Toleranz, am römischen
„Katholicismus“ des Glaubens Rache nahm] Vgl. NK 66, 15-18. Den Gedanken,
dass das Christentum eine Rache am Erfolg des Römischen Reiches darstellt,
hat bereits M 71, KSA 3, 69 f. formuliert. Wenn JGB 46 dem Imperium Katholizi-
tät zuschreibt, besteht die ironische Pointe darin, dass es im Unterschied zu
jener Kirche, die sich später „katholisch“ nennt, das im Begriff KaOoAiKÖc; Ge-
forderte auch eingelöst hat, nämlich das Ganze, ÖAov, umfasste und um seinet-
willen bestand. Wenn etwas katholisch war, dann nicht eine christliche Kirche
mit ihrem Ausschließlichkeitsanspruch, sondern das Imperium Romanum, das
nach N.s Weichzeichnung in JGB 46 für alles und alle, für jede Weltanschau-
ung und Glaubensrichtung Platz hatte. In dem von N. verwendeten Handwör-
terbuch der griechischen Sprache wird KaOoAiKoc; mit „allgemein“ übersetzt und
anhand vor- bzw. nichtchristlicher Quellen, namentlich Polybios und Sextus
Empiricus belegt (Passow 1841-1857, 1/2, 1535 f.).
67,13-17 und immer war es nicht der Glaube, sondern die Freiheit vom Glauben,
jene halb stoische und lächelnde Unbekümmertheit um den Ernst des Glaubens,
was die Sklaven an ihren Herrn, gegen ihre Herrn empört hat.] Vgl. NK 66, 15-
18.
67,17 f. der Sklave nämlich will Unbedingtes] Vgl. NK 100, 2-4.
67, 22-26 Die Skepsis gegen das Leiden, im Grunde nur eine Attitüde der aristo-
kratischen Moral, ist nicht am wenigsten auch an der Entstehung des letzten
grossen Sklaven-Aufstandes betheiligt, welcher mit der französischen Revolution
begonnen hat.] Zum ersten Mal benutzte N. hier öffentlich den nachmals be-
rüchtigt werdenden Ausdruck „Sklavenaufstand“. Im Privatdruck des „Vierten
und letzten Theils“ von Also sprach Zarathustra (1885) hatte er ihn bereits ver-
wendet, ohne ihn freilich historisch näher zu konkretisieren (Za IV Der freiwil-
 
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