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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0347
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Stellenkommentar JGB 47, KSA 5, S. 67 327

N. im Auge habe, sei lebensbejahend (vgl. Lampert 2001, 128). Sicher werden
in JGB 47 asketische Praktiken besprochen, die in einem Wechselverhältnis zur
„religiösen Neurose“ stehen - wobei sowohl Extreme der „Wollüstigkeit“ als
auch „Welt- und Willens-Verneinung“ (68, 4 f.) deren Fieberkurve beschreiben.
Leicht könnte auch eine willensbejahende Religion unter Neurose-Verdacht ge-
raten.
67, 28-68, 6 Wo nur auf Erden bisher die religiöse Neurose aufgetreten ist, fin-
den wir sie verknüpft mit drei gefährlichen Diät-Verordnungen: Einsamkeit, Fas-
ten und geschlechtlicher Enthaltsamkeit, — doch ohne dass hier mit Sicherheit
zu entscheiden wäre, was da Ursache, was Wirkung sei, und o b hier überhaupt
ein Verhältniss von Ursache und Wirkung vorliege. Zum letzten Zweifel berech-
tigt, dass gerade zu ihren regelmässigsten Symptomen, bei wilden wie bei zah-
men Völkern, auch die plötzlichste ausschweifendste Wollüstigkeit gehört, welche
dann, ebenso plötzlich, in Busskrampf und Welt- und Willens-Verneinung um-
schlägt: beides vielleicht als masldrte Epilepsie deutbar?] In NL 1884, KSA 11,
25[33], 20, 7-11 notierte N.: „Einsamkeit, Fasten und geschlechtliche Enthalt-
samkeit — typische Form, aus der die religiöse Neurose entsteht. Äußerste Wol-
lust und äußerste Frömmigkeit im Wechsel. Fremdartige Betrachtung gegen
sich: als ob sie Glas wären oder 2 Personen.“ Bei der in KSA 14, 354 mitgeteil-
ten Aufzeichnung, die dort als „erste Fassung“ von JGB 47 angeführt wird,
handelt es sich trotz einer allerdings wenig plausiblen Leseabweichung („ge-
schlechtliche Einsamkeit“ statt „geschlechtliche Enthaltsamkeit“) wohl
um dasselbe Notat. Die Überlegungen von 25[33] und JGB 47 spiegeln N.s Lek-
türen aus dieser Zeit wider; KGW VII4/2, 88 behauptet sogar, 25 [33] sei einfach
ein „Exzerpt“ aus Francis Galtons Buch Inquiries into Human Faculty and Its
Development, das N. von Josef Paneth bekommen hat (vgl. Haase 1989, 639-
641). Die fragliche Passage lautet: „Madness is offen associated with epilepsy;
in all cases it is a frightful and hereditary disfigurement of humanity [...]. The
phases of extreme piety and extreme vice which so rapidly succeed one ano-
ther in the same individual among the epileptics, are more widely separated
among those who are simply insane. It has been noticed that among the mor-
bid organic conditions which accompany the show of excessive /67/ piety and
religious rapture in the insane, none are so frequent as disorders of the sexual
Organisation. Conversely, the frenzies of religious revivals have not unfrequent-
ly ended in gross profligacy. The encouragement of celibacy by the fervent
leaders of most creeds, utilises in an unconscious way the morbid connection
between an over-restraint of the sexual desires and impulses towards extreme
devotion / Another remarkable phase among the insane consists in stränge
views about their individuality. They think that their body is made of glass, or
that their brains have literally disappeared, or that there are different persons
 
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