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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0363
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Stellenkommentar JGB 52, KSA 5, S. 71-72 343

der Selbstbezwingung, wie er? Er zu Gunsten Gottes, wir zu Gunsten der Red-
lichkeit?“ (NL 1880, KSA 9, 7[262], 372, 8-10; dazu Brusotti 2012b, 59). In NL
1884, KSA 11, 26[409], 260, 12-17 wird die „Selbstbezwingung“ zu einem Le-
bensrezept: „Wie kommen Menschen zu einer großen Kraft und zu einer großen
Aufgabe? — Alle Tugend und Tüchtigkeit am Leibe und an der Seele ist müh-
sam und im Kleinen erworben worden, durch viel Fleiß, Selbstbezwingung,
Beschränkung auf Weniges, durch viel zähe treue Wiederholung der gleichen
Arbeiten, der gleichen Entsagungen“. Auch wenn es nach AC 57 schließlich
„die geistigsten Menschen, als die Stärksten“ sind, die die „Selbstbezwingung“
zum Lebensprinzip machen (vgl. NK KSA 6, 243,8-12), erscheint ihre religiös-
moralisch konnotierte Form zumindest im späten Nachlass bald als überflüs-
sig: „Wir haben die Tugenden nicht mehr nöthig: folglich verlie-
ren wir sie: sowohl die Moral vom ,Eins ist noth‘, vom Heil der Seele von der
Unsterblichkeit: ein Mittel, um dem Menschen eine ungeheure Selbstbe-
zwingung zu ermöglichen“ (NL 1886/87, KSA 12, 5[61], 207, 22-26, ent-
spricht KGW IX 3, N VII 3, 115, 20-34). Obwohl Grimms Deutsches Wörterbuch
für „Selbstbezwingung“ nur eine einzige, barocke Belegstelle nennt (Grimm
1854-1971, 16, 463), wurde das Wort in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
häufig verwendet, in N.s Lektüren etwa bei Adalbert Stifter („Charakterfestig-
keit und Selbstbezwingung“ - Stifter 1869,1,156) oder in Hermann Oldenbergs
Buddha (Buddha „sprach dies Wort: ,Durch heilige Gluth und durch keuschen
Wandel, durch Bezähmung und Selbstbezwingung, dadurch wird man zum
Brahmanen“ - Oldenberg 1881, 160).
71, 21 Wider-Natur] Im Spätwerk wird die (herkömmliche) Moral als „Widerna-
tur“ identifiziert, siehe NK KSA 6, 82, 1 u. NK KSA 6, 372, 7-11.
52.
Vorarbeiten zu JGB 52 mit zahlreichen Korrekturen finden sich in KGW IX 4, W
I 6, 27, 34-42 u. 29,1-32 sowie in KGW IX 1, N VII1, 34 u. 33. Josef Schrattenholz
zitierte JGB 52 mit seiner ausdrücklichen Wertschätzung für das Alte Testament
vollständig in seinem Antisemiten-Hammer (Schrattenholz 1894, 273 f.). Diese
Anthologie war gegen die „Zeitkrankheit“ des Antisemitismus gerichtet und
rief dafür auch N. mehrfach in den Zeugenstand (vgl. Kr I, 293 u. NK ÜK JGB
250).
72, 2-7 Im jüdischen „alten Testament“, dem Buche von der göttlichen Gerech-
tigkeit, giebt es Menschen, Dinge und Reden in einem so grossen Stile, dass das
griechische und indische Schriftenthum ihm nichts zur Seite zu stellen hat. Man
steht mit Schrecken und Ehrfurcht vor diesen ungeheuren Überbleibseln dessen,
 
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