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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0382
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362 Jenseits von Gut und Böse

74, 30 jenseits von Gut und Böse] Die Titelformel des Werkes, „jenseits von Gut
und Böse“, kommt im Text des Werkes insgesamt sechsmal vor, nämlich in
JGB 4, KSA 5, 18, 20; JGB 44, KSA 5, 62, 10 f.; JGB 56, KSA 5, 74, 30; JGB 153,
KSA 5, 99, 20 f.; JGB 212, KSA 5, 147, 14 f. und JGB 260, KSA 5, 210, 34.

57.
75,12-24 Mit der Kraft seines geistigen Blicks und Einblicks wächst die Ferne
und gleichsam der Raum um den Menschen: seine Welt wird tiefer, immer neue
Sterne, immer neue Räthsel und Bilder kommen ihm in Sicht. Vielleicht war Alles,
woran das Auge des Geistes seinen Scharfsinn und Tiefsinn geübt hat, eben nur
ein Anlass zu seiner Übung, eine Sache des Spiels, Etwas für Kinder und Kinds-
köpfe. Vielleicht erscheinen uns einst die feierlichsten Begriffe, um die am meis-
ten gekämpft und gelitten worden ist, die Begriffe „Gott“ und „Sünde“, nicht
wichtiger, als dem alten Manne ein Kinder-Spielzeug und Kinder-Schmerz er-
scheint, — und vielleicht hat dann „der alte Mensch“ wieder ein andres Spielzeug
und einen andren Schmerz nöthig, — immer noch Kinds genug, ein ewiges Kind!]
Durchlaufen Menschen die in JGB 55 und 56 beschriebene Entwicklung, dann
gewinnen sie dem hier Gesagten zufolge offensichtlich einen breiteren und zu-
gleich tieferen Horizont, vor dem alte „Begriffe“ verblassen und sich eines Ta-
ges vielleicht ganz verflüchtigen - darunter gerade die großen Worte der
(christlichen) Religion, „Gott“ und „Sünde“. Diese Sicht impliziert freilich wie-
derum einen bemerkenswerten geschichtsphilosophischen Ameliorismus, dem
zufolge zumindest Erkenntnislüsterne allmählich höhere Stufen der Einsicht
erklimmen. ,,[D]er alte Mensch“ - das ist ironische Inversion des „alten Men-
schen“, der nach Paulus im Kreuzestod Christi zugunsten eines „neuen Men-
schen“ überwunden worden ist (Römer 6, 6; vgl. Epheser 4, 22 u. Kolosser 3,
9) -, nämlich der durch Erfahrung alt gewordene Mensch würde dann wieder
anderer ,,Spielzeug[e]“ bedürfen, weil er immer noch „Kind“ bliebe. Dieser
Mensch scheint dann in jene Kindlichkeit aufzurücken, die die letzte der „drei
Verwandlungen“ in Za I Von den drei Verwandlungen ausmacht (KSA 4, 31).
Das wäre dann die säkularisierte Version des göttlichen Kindes bei Heraklit,
das die Welt spielend lenkt (Diels/Kranz 1951, 22 B 52, zu N.s Präferenz für
dieses Fragment siehe z. B. NK KSA 6, 208, 18-21).

58.
Dass die Muße, die „vita contemplativa“ ursprünglich mit dem religiösen Le-
ben assoziiert gewesen sei, wird bereits in M 41 und M 42 (KSA 3, 48-50) be-
 
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