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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0419
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Stellenkommentar JGB 76, KSA 5, S. 87 399

86, 8f. hat statt „in den letzten Gipfel“ „in die letzte Höhe“. KGW VII 4/1, 86
teilt mit, dass diese Sentenz in 3[1] von N. „anläßlich der Numerierung der
Sprüche“ mit Bleistift hinzugefügt worden sei.
Die Gewalt des Sexuellen hat N. gelegentlich reflektiert, zunächst im Früh-
werk im Blick auf das Dionysische und seine orgiastischen Exzesse, sodann im
Blick auf den Umgang von Mann und Frau in MA II. Dort wird deutlich, dass
das Sexuelle (die „Begierde“) eine ungeheure Kraft habe, den Menschen zu
verändern (vgl. z. B. MA II VM 273, KSA 2, 494, 22-27). Das von Philosophen
wie Schopenhauer vertretene Programm geschlechtlicher Askese erschien N.
freilich weder realistisch noch zielführend (vgl. z. B. NL 1880, KSA 9, 3[165],
101). Bei einem Titelentwurf zu JGB notierte er in NL 1884, 26[297], 229,12 u. 15
unter der Überschrift „Die Lebens-Ermöglichung des Weisen“ u.a. auch
„Seine Geschlechtlichtkeit“. Ferner bedachte er im Nachlass, wie stark der „Ge-
schlechtstrieb“ die Herausbildung von Individuen gestattet, woraus sich un-
mittelbare moralische und politische Konsequenzen ergeben: Der Geschlechts-
trieb sei „antisocial“, er leugne „die allgemeine Gleichheit und den gleichen
Werth von Mensch zu Mensch“ (NL 1880, KSA 9, 6[155], 236, 7-10). Die Bedeu-
tung, die JGB 75 dem Geschlechtlichen bei der Persönlichkeitsgestaltung ein-
räumt, mag auf prüde zeitgenössische Leser schockierend gewirkt haben, ist
aber nur die positive Wendung von Schopenhauers negativer Faszination
durch das Geschlechtliche als unmittelbarem Ausdruck des Willens. Man muss
aus JGB 75 keineswegs zwangsläufig den Beweis für eine Triebsublimations-
theorie herauslesen, wie es etwa Jaspers 1981, 134 und Gasser 1997, 322 tun.
Der Abschnitt könnte eher nahelegen, dass sich „Geschlechtlichkeit“ gerade
nicht sublimieren lässt.

76.
87, 12 f. Unter friedlichen Umständen fällt der kriegerische Mensch über sich
selber her.] Die gleichlautende Fassung in NL 1882, KSA 10, 3[l]290, 88, 7f.
wird noch um einen erläuternden Nachsatz ergänzt: in Ermangelung von
anderen Feinden“. Statt „Unter friedlichen Umständen“ stand in dieser Vorstu-
fe ursprünglich: „In friedlichen Zeiten“ (KGW VII 4/1, 89). Eine erste Fassung
lautet nach KGW VII 4/1, 89: „Feinde zu bekämpfen} haben ist das die älteste
Gewöhnung des Manschen} und folglich das stärkste Bedürfniß.“ Die Vorstel-
lung von der ursprünglich kriegerischen Natur des Menschen, für die beispiels-
weise Thomas Hobbes ein einflussreicher philosophischer Fürsprecher gewe-
sen ist, hat N. in der von ihm konsultierten anthropologisch-ethnographischen
Literatur bestätigt finden können, so in der am 08. 07.1881 von Franz Overbeck
angeforderten Culturgeschichte in ihrer natürlichen Entwicklung von Friedrich
 
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