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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0421
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Stellenkommentar JGB 80, KSA 5, S. 87-88 401

verachtet, ehrt sich doch immer noch mit dem Gedanken, daß er sich jetzt
wenigstens nicht belügt.“ (NL 1882, KSA 10, 3[1]281, 80, 17-18) In variierter
Form taucht der Gedanke auch in Za I Von den Verächtern des Leibes auf: „Den
Verächtern des Leibes will ich ein Wort sagen. Dass sie verachten, das macht
ihr Achten. Was ist es, das Achten und Verachten und Werth und Willen
schuf?“ (KSA 4, 40, 19-21, dazu Pieper 1990, 157 f.) Als Prototyp des Selbstver-
ächters, der sein Selbst doch nicht wirklich auszulöschen vermag, gilt bei N.
der von der Erbsündenlehre durchdrungene Christ, namentlich Blaise Pascal
(vgl. z. B. NL 1885/86, KSA 12, 2[144], 138, 20 f. = KGW IX 5, W I 8, 77, 28-30 u.
NL 1887/88, KSA 13, 11[55], 27f. = KGW IX 7, W II 3, 174). JGB 78 unterstellt in
seiner assertorischen Gestalt, dass sich ein solcher Selbstverächter (und damit
der gläubige Christ) stets in einem performativen Selbstwiderspruch befinde.
79.
88, 2 f. Eine Seele, die sich geliebt weiss, aber selbst nicht liebt, verräth ihren
Bodensatz: — ihr Unterstes kommt herauf.] Eine frühe Fassung des Gedankens
in NL 1882, KSA 10, 2[47], 50, 16-18 lautet: „Der Prüfstein für eine Natur ist
nicht die Art, wie sie liebt, sondern wenn sie sich geliebt weiß, tritt alle ihre
Gemeinheit oder Höhe ans Licht.“ Daran schließt sich die ausführlichere Erwä-
gung in NL 1882, KSA 3, 3[1]64, 61, 3-8 an. JGB 163, KSA 5, 101, 7-9 behauptet
demgegenüber, dass die Liebe die „hohen und verborgenen Eigenschaften“
desjenigen ans Licht bringe, der liebe, jedoch leicht darüber täusche, was „Re-
gel an ihm ist“. Wer hingegen nicht liebt, so folgt aus JGB 79, verrät nichts
Hohes, sondern vielmehr Untergründiges - womöglich das, was wenn auch
gut versteckte „Regel an ihm ist“? Die Überlegungen von JGB 79 und JGB 163
waren ursprünglich verschmolzen in NL 1882, KSA 10, 3[1]72, 62,1-5: „Die Lie-
be bringt die hohen und seltenen Eigenschaften eines Menschen ans Licht;
insofern täuscht sie über ihn (ihn selber am meisten). Aber, wer nicht ge-
täuscht sein will, habe Acht, was geschieht, wenn ein Mensch sich geliebt
weiß, aber nicht liebt: da verräth eine Seele selbst ihren Bodensatz.“
(Ähnlich in NL 1883, KSA 10, 22[3], 622, 12-16) Für die Präsentation im Vierten
Hauptstück von JGB zog N. es aber vor, die Überlegungen zu vereinzeln und
weit voneinander entfernt zu platzieren. Das erhöht den sententiösen Rätsel-
charakter der Aussagen, die in ihrer Druckgestalt im Unterschied zu den Vor-
stufen ohne Erklärung auskommen.
80.
88, 5-9 Eine Sache, die sich aufklärt, hört auf, uns etwas anzugehn. — Was
meinte jener Gott, welcher anrieth: „erkenne dich selbst“! Hiess es vielleicht:
 
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