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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0424
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404 Jenseits von Gut und Böse

,thut‘ ihm selten dabei ,wohl‘: und die Handlungen größter Liebe könnten sich
ausnehmen wie Züchtigungen und Foltern. (3) Mitleid (4) Was ist das Mitleiden
für ein schwächliches Ding, wenn es dich nicht einmal hart (5) Der mitleidigste
Mansch} möchte von ihnen als ihr Tyrann gefühlt werden: —“ (KGW VII 4/
1, 63). Der Gedanke des Mitleids steht also im ursprünglichen Gedankengang
nicht am Anfang, sondern am Ende. Weitere Versionen finden sich in NL 1882,
KSA 10,12[1]117, 393,10 f. („Mitleiden mit der Menschheit — das wäre Tyrannei
gegen jeden Einzelnen“) und NL 1883, KSA 10, 22[3], 621, 10 f. („Mitleid mit
dem ganzen Geschlecht — das führt zur Härte mit jedem Einzelnen“, vgl. KSA
10, 22[3] 625, 13 f.). Das Interesse am Wohl der Gattung Mensch scheint direkt
gegen die Partikularinteressen der Einzelnen gerichtet zu sein, so dass der für
die Menschheit Mitleidübende diese Partikularinteressen eben „hart“ und „ty-
rannisch“ beschneiden müsste. Die in KGW VII 4/1, 63 mitgeteilte Entwurfsfas-
sung geht zunächst von einer Diskrepanz zwischen dem aus, was das Individu-
um als Wohltat empfindet und dem, was tatsächlich eine Wohltat ist. Das Krite-
rium eines allfälligen Menschheitsinteresses bleibt noch ausgespart.
Die in Anführungszeichen gesetzte Wendung „Mitleiden mit Allen“ fehlt in
den Vorstufen und ist bei N. nur hier belegt. Die Formel wurde beispielsweise
im Pietismus gebraucht (Blumhardt 1865, 169). Direkt ist die Polemik in JGB 82
aber gegen Schopenhauer gerichtet, der das Mitleid zur eigentlichen Grundlage
der Moral erklärt: „Denn gränzenloses Mitleid mit allen lebenden Wesen ist der
festeste und sicherste Bürge für das sittliche Wohlverhalten und bedarf keiner
Kasuistik“ (Schopenhauer 1873-1874, 4/2, 236).
83.
88,18-20 Der Instinkt. — Wenn das Haus brennt, vergisst man sogar das
Mittagsessen. — Ja: aber man holt es auf der Asche nach.] Im Vierten Haupt-
stück haben nur JGB 83, JGB 87, JGB 140 und JGB 165 gesperrt gesetzte Titelse-
quenzen, wie N. sie sonst in seinen Aphorismenbüchern seit MA I regelmäßig,
in JGB aber nur in den genannten Fällen verwendet hat. Zu JGB 83 gibt es einen
sehr ähnlich lautenden Entwurf in NL 1883, KSA 10,11 [11], 381, 4-6, der freilich
die Titelsequenz weglässt und dafür einen Sprecher einfügt: „Wenn das Haus
brennt, vergißt man sogar das Mittagsessen — sagte der Feuerhund. / Ja, und
holt es nachher auf der Asche nach.“
Im Nachlass von 1883 taucht der Feuerhund an acht Stellen auf; NL 1883,
KSA 10, 13[25], 470, 9 stellt auch ein „Gespräch mit dem Feuerhund“ in
Aussicht. Von einem solchen Gespräch berichtet Zarathustra dann in Za II Von
grossen Ereignissen, KSA 4,168-170. Dort ist der als Vulkan beschriebene Feu-
erhund als ein „Umsturz- und Auswurf-Teufel“ (KSA 4,168, 33) nach Naumann
 
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