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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0429
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Stellenkommentar JGB 92, KSA 5, S. 89-90 409

ihre Oberfläche.] Ähnlich lautet bereits die Vorstufe in NL 1882, KSA 10, 3[1]41,
58, 7-9. Dazu vermerkt KGW VII 4/1, 63 eine erste Fassung: „Schwere, schwer-
müthige Menschen werden oft durch Haß oder Liebe heiterer, also leichter.“
Die paradoxe Pointierung der Allerweltsweisheit findet also erst in der zweiten
Bearbeitungsstufe von 3[1]41 dadurch statt, dass der Gegensatz zu den „An-
dren“ aufgemacht wird. Eine weitere Bearbeitung erfährt die Überlegung in NL
1883, KSA 10, 22[3], 621, 6f., die in NL 1884-1885, KSA 11, 30[9], 355, 19-22 auf
das sprechende Ich übertragen wird: „Oh Glück, ich kam durch Haß und Liebe
selber zu meiner Oberfläche: zu lange hieng ich in einer schweren Luft von
Haß und Liebe: die schwere Luft trieb und schob mich wie einen Ball“ (vgl. NL
1884/85, KSA 11, 31[39], 376, 5-7).
91.
90, 2-4 So kalt, so eisig, dass man sich an ihm die Finger verbrennt! Jede Hand
erschrickt, die ihn anfasst! — Und gerade darum halten Manche ihn für glühend.]
Zunächst wurde der Gedanke in NL 1882, KSA 10, 3[1]11, 55, 3-8 skizziert, nach
KGW VII 4/1, 60 aber von N. wieder durchgestrichen: ,„Du bist gegen Alles,
was bisher Werth hatte, kalt geworden, du bist kälter als Eis — aber wer dich
jetzt anrührt, sagt du seist glühend geworden: und zieht schnell seinen Finger
zurück, im Glauben, du habest ihn verbrannt. Und es wird bald Menschen ge-
ben, welche dich aufsuchen, um sich an dir zu wärmen.1“ Ganz am Ende
desselben Heftes heißt es: „Dieser Denker ist kälter als Eis, folglich verbrennt
man sich an ihm die Finger und hält ihn leicht für glühend.“ (NL 1882, KSA
10, 3[1]445, 107, 9 f.) Mit dem Gegensatzpaar von Kälte und Hitze spielen auch
NL 1882, KSA 10, 1[64], 26 („Der Zustand der absoluten Erkaltung in Bezug
auf alle bisher geglaubten Werthe ist vorhergehend dem der Erhitzung.“)
und NL 1882/83, KSA 10, 5[1]67, 195, 1-3 („Je näher du der völligen Erkaltung
kommst, in Bezug auf alles bisher Werthgeschätzte, um so mehr näherst du
dich auch einer neuen Erhitzung.“). Das Motiv, sich am Eis zu verbrennen,
besingt schließlich auch Zarathustra (Za II Das Nachtlied, KSA 4, 138, 3). Die
metaphorische Verbindung von Hitze und Kälte ist durchaus gängig, vgl. z. B.
Charles Baudelaires Charakterisierung von Robespierres Stil in den Paradis ar-
tificiels: „son style de glace ardente, recuit et congele comme l’abstraction“
(Baudelaire 1869, 4, 248 - „sein Stil von brennendem Eis, glühend und gefro-
ren wie die Abstraktion“).

92.
90, 6 f. Wer hat nicht für seinen guten Ruf schon einmal — sich selbst geop-
fert? —] In der Formulierung noch nicht so geschliffen wirkt das Notat NL 1882,
 
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